Alternative zum Restleben: Graffiti im Autonomen Zentrum, Foto: Manfred Wegener

»Klar gibt es Hierarchien«

Das Autonome Zentrum in Kalk feiert einjährigen Geburtstag. Viel wurde berichtet über die Auseinander­­setzungen mit der Polizei, der Sparkasse, der Lokal­politik. Doch wie läuft’s intern? Haben die Aktivisten erreicht, was sie sich vorgenommen haben? Welche Probleme ergeben sich auf dem Weg zum selbstverwalteten, hierarchiefreien Modell einer anderen Welt im Kleinen? Wir haben in paar Aktivisten mit ihren eigenen Ansprüchen konfrontiert.

Das AZ ist offen für alle, die Lust haben, in einem emanzipatori­schen Rahmen zusammenzukommen und selbst aktiv zu werden.
Benutzer_innenhandbuch AZ

 

Es ist mittlerweile sogar offener. Es kommen ganz unterschiedliche Menschen. Die Kids, die da drü­ben Tischtennis spielen, haben nichts mit einem emanzipato­rischen Rahmen zu tun. Für die ist das ein Ort zum Rumhängen. Genau wie für ganz viele Leute, die zu Partys und Konzerten kom­men. Da ist nicht immer gleich was Politisches mit verbunden.

 

Ob alternative Party mit akribisch konservier­tem Punk­rock, Konzert mit main­stream­untauglicher Crust-Combo oder Ausstellung mit unverkäuflichen Fotos: Faktisch wird das bestehende Einerlei der Kulturindustrie nur um einen exotischen Fak­tor erweitert. Bleibt die revolutionäre Kritik außen vor, verharren die Prota­gonis­tIn­nen als ehrenamtliche Dienst­leisterInnen in subkultureller Sze­ne­wurschtelei.
Du Pain et des jeux, Antagonistische Assoziation

 

Natürlich laufen hier Sachen, die woanders keine Chance hätten, weil sie kommerziell weniger gut verwertbar sind. Und klar: Das »bestehende Einer­lei der Kulturindustrie« wird damit erweitert. Aber das Haus besteht ja nicht nur aus Partys und Konzerten, hier wird auch politi­sche Arbeit gemacht. Die Reihe »Linke Basics« zum Beispiel, in der Grundlagen diskutiert werden, oder das »Mehr Kollektive«-Wochenende, bei dem die Möglichkeiten kollektiver Organisation diskutiert werden. Zudem ist unsere Organisationsform revolu­tionär.

 

Hier können kollektive Formen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens ausprobiert, reflektiert und weiterentwickelt werden
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Herauszufinden, wie man sich organisieren kann, ist ja ganz entscheidend, wenn man eine andere Gesellschaft will. Wir haben mehrmals unsere Plenums­struktur geändert. Das ist schon schwierig: Wie sollen hundert Aktive hierarchiefrei zusammenarbeiten? Und zwar so, dass die Bedürfnisse von allen erfüllt werden, die Leute aber auch handlungsfähig sind. Das war ein langer Prozess, bis wir eine Lösung gefunden haben. Wir haben jetzt Arbeitsgruppen, die für einzelne Bereiche verantwortlich sind und autonom entscheiden können. Die Bau-AG kümmert sich zum Beispiel um Renovierungen im Haus, das Partyministerium organisiert Konzerte und Parties.

 

Damit sich alle in gleicher Weise einbringen können, gibt es keine formellen Hierarchien.
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Wir hatten im ersten halben Jahr ein Plenum, das über alles entschieden hat. Dieses Plenum war offen für alle. Auch wenn man zum ersten Mal ins AZ gekommen und zufällig ins Plenum reingestolpert ist, konnte man mitentscheiden. Wir haben im Sommer zum Beispiel monatelang diskutiert, ob im AZ auch Wohnraum geschaffen werden soll. Wir entschieden immer dagegen, aber jede Woche kam jemand Neues, der oder die das Thema noch mal besprechen wollte. Das Problem war, dass die Entscheidungen nicht bei den Leuten lagen, die sie dann auch umsetzen. Und da haben wir uns für eine Struktur entschlossen, die mehr auf tatsächlicher Verantwortlichkeit basiert.

 

Die AGs sind für alle frei zugänglich. In das große Plenum werden aber nur Delegierte hingeschickt. Insofern gibt es eine Hierarchie, klar. Das ist für viele politisch nicht wünschenswert, aber es hat sich so ergeben. In unserer Utopie sieht das anders aus.

 

Das Gelingen der Veranstaltun­gen und der Fortbestand des AZ liegen bei verantwortungsbewuss­ten Besucher_innen, die sich immer als handelnde Subjekte und nicht als passive Konsument_innen wahrnehmen.
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Wenn wir auf einer Party Biernachschub aus dem Getränkelager brauchen und Leute fragen, ob sie helfen, dann klappt das meist. Aber wir stoßen immer wieder an Grenzen. Alles basiert auf Freiwilligkeit, die man mit seinem Restleben vereinbaren muss. Es läuft schon irgendwie, aber es könnten immer noch mehr Leute sein. Dann wären die Klos besser geputzt und es wäre besser aufgeräumt.

 

Aber dieser Selbstorganisa­tions­aspekt, der ist schon spürbar. Wenn der Strom ausfällt, weil im Generator Benzin nachgefüllt werden muss, dann ist das faszinierend für die, die zum ersten Mal kommen. Dass hier alles selbst aufgebaut ist. Das Leben in die eigene Hand nehmen und nicht mehr warten, das irgendwas schöner wird. Sondern es einfach selber machen.