Subversiv gemütlich
Nun entspricht Thomas Meinecke, der in diesem Sommer 56 Jahre alt wird und in einem winzigen Nest in Bayern lebt, nicht ganz der Vorstellung, die man sich hierzulande von einem Popstar macht. Aufgrund seiner geselligen Art, seines beängstigenden Wissens und seiner Leibesfülle erinnert er eher an ein Tausende von Büchern und Platten mit sich im Kopf herumtragendes freundliches Michelinmännchen. »Musik mache ich nur, weil ich es gerne mache«, sagte er einmal.
Dreißig Jahre ist es nun her, dass er zusammen mit Freunden eine der ersten deutschen New-Wave-Bands gründete, die mit Humor, Ironie und Zitat arbeitete, bevor andere es taten, bzw. die überhaupt verstand, worum es sich bei diesen Dingen handelte. Freiwillige Selbstkontrolle nannte sich die Band, kurz: FSK. Anfangs verstand sich die Gruppe als »musikalischer Arm« des Kunst-Fanzines Mode & Verzweiflung, an dem man mitarbeitete: »Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie.«
Später bediente man sich freimütig aus allen nur denkbaren musikalischen Quellen, um den bandeigenen Sound mit Klängen zu mischen und anzureichern, die man vielleicht von südostbayrischen Hochzeitsgesellschaften oder lange Zeit nur vom Hörensagen kannte: Polka, Swamp Blues, Cajun, Texmex-Country, wasweißichwas. Ein Stilwechsel folgte auf den anderen, und nicht einen einzigen davon nahmen FSK um des kommerziellen Erfolgs willen vor. In den letzten Jahren waren House und Techno die bevorzugten Inspirationsquellen.
Gewissermaßen nebenher schreibt Meinecke dicke Romane, in denen er sich ebenso kenntnisreich wie freischweifend parlierend an den Themen Gender, Sex, Rassismus, Adoleszenz oder eben Musik abarbeitet. Obendrein reist er mit schöner Regelmäßigkeit auch noch gutgelaunt durch die Weltgeschichte, um sich in diversen Städten mit befreundeten Künstlern und Kollegen auf ein Podium zu setzen und sich dort etwa über die fragwürdige oder gelungene Ästhetik von Plattencovern zu unterhalten und dazu unterschätzte Musikstücke abzuspielen. Wie er all das zeitlich schafft, ist ein Rätsel.
Im Februar bereits tourten FSK mit ihren Labelkollegen (Goldene Zitronen, 1000 Robota, Kristof Schreuf) durch diverse Städte. Da konnte man sehen: Während die Methode der Goldenen Zitronen, bei Auftritten mit allerlei Mummenschanz, Brechtschem V-Effekt und Theaterquatsch die Erwartungen ihres Publikums zu unterlaufen, mittlerweile zum Ritual erstarrt ist und die sich unentwegt sinnlos in alberne Rockerposen werfenden Jungschnösel von 1000 Robota sich ob ihrer vermeintlichen eigenen Coolness gar nicht mehr beruhigen konnten, erwiesen sich FSK im dreißigsten Jahr ihres Bestehens als das, was sie sind: die intelligenteste Popband dieses Landes.
Tonträger: »Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Mode-und-Verzweiflung-Produkt«, (3-CD-Box im Schuber, Disko B/ Indigo), bereits erschienen.