Gnostiker und Ketzer: Earth, Foto: Sarah Barrick

Country ohne Landschaft, Folk ohne Volk

Earth spielen, als würde ihnen keiner zuhören. Vielleicht brauchen sie auch keine Zuhörer

Rafft eure müden Kno­chen noch einmal zusammen, hebt den Kopf, schiebt die Hutkrempe aus dem Blick, klopft den Staub ab, er wird immer an euch haften bleiben, aber klopft trotzdem, versucht es. Und dann, nur noch eine kleine An­stren­gung!, marschiert, stützt euch gegenseitig, Schritt für Schritt.

 

»Old Black«, das Eröffnungsstück de neuen Albums von »Angels of Darkness, Demons Of Light 1«, ist ein fulminantes Plädoyer für das Weitermachen, auch wenn es eher ein Weiterschleppen ist und das Ziel die letzte, wirklich die allerletzte Ruhestätte ist. Ein Stück Trauermusik, das zugleich ungemein kraftspendend ist, beinahe so etwas wie Aufbruchsstimmung verbreitet. Die folgenden Stücke »Father Midnight«, »Descent to the Zenith«, »Hell’s Winter« und das namengebende »Angles of Darkness, Demons of Light 1« nehmen diese Stimmung – oder besser: diese Anti-Stimmung – auf. Sie stehen zwischen emotionalen Extremen, entscheiden sich nicht für die Auflösung nach einer Seite hin, halten die Spannung aus. Das Titel­stück schließlich ist formvollendeter Stoizismus. Nichts ist mehr zu sagen, aber alles bleibt offen. Gitarrist und, nun ja, Songwriter Dylan Carlson verzückt die Presse gerne mit Ausführungen zur Gnostik, zur griechischen Phi­losophie und früh­christlichen Ket­zern und Mys­tikern. Passt schon.

 

Die Geschichte von Earth aus Seattle ist die eines geglückten Comebacks. Im Rock gelingen Comebacks in der Regel nicht. Wer drei, vier Jahre am Drücker, am Puls der Zeit war, wird es schwer haben, nach einer längeren Zeit wieder zurück zu kommen. Der geschichtliche Augenblick ist vergangen, was man musikalisch zu sagen hatte, hat man gesagt. Wer wiederentdeckt und von seinen Fans und Bewunderern zu neuen Taten – neuen Alben und Konzerten – gedrängt wird, kann sich meist nur wiederholen und auf die Herausforderungen der Zeit nicht mehr mit der frischen, kühnen, radikalen Musik von einst antworten. Als Carlson, Earth-Gründer und bis heutige einzig konstantes Mitglied, sich 2005 – nach neunjähriger Pause (streng genommen nach zwölfjähriger, aber dazu später) – mit »Hex; or Printing in the Infernal Method« zurückmeldet, traut man seinen Ohren kaum: Das Album ist extrem, gerade weil es nicht extrem ist. Es verzichtet auf allen Sound-Extremismus, verzer­rte Gitarren hört man nicht, die rein instrumentalen Stücke (Carlson singt grundsätzlich nicht) sind konzentriert und werden mit strenger Disziplin gespielt: kei­ne Ausbrüche, keine Ausschweifungen.

 

Es ist karge, arme Musik, dabei nicht verbittert oder verhärmt. Country für eine Landschaft, die zur Steppe verödet ist. Folk, dem die Menschen abhanden gekommen sind – wem soll man eigentlich noch Geschichten erzählen? Metal, der zu Tode erschöpft ist – kein Headbangen, kein Gekeife. »Hex; or Printing in the Infernal Method« ist stumme Trauer gepaart mit dem beharrli­chen Willen, weiterzumachen. Fürchtet euch nicht, die Apokalypse ist schon längst eingetreten.

 

Im Prinzip kann man all das auch für das Album aller Alben, für das ultimative Heavy-Metal-Statement geltend machen: »Earth 2: Special Low-Frequency Version«, Carlsons Meisterwerk von 1993. Bloß, dieses Album – das für eine gar nicht mal so kleine Szene des Post- und Abstract-Metals (»Drone Doom«) mittlerweile als das wichtigste der 90er Jahre angesehen wird – ist eine einzige Ausschweifung, eine endlose Feier der verzerrten Gitarre, des Feedbacks, des stumpfsinnigen Widerholens einzelner Power-Riffs. 1996 folgte das überraschend konventionelle Stoner-Rock-Album »Pentastar: In The Style Of Demons«, die Platte fiel bei Kritikern und dem Publikum durch. Dann kamen die Drogen. Dann das Aus. Carlson verschwand im Trübsinn.

 

Auf »Earth 2« ist alles nach außen gekehrt – die Monotonie, die Diszinplinlosigkeit, das Maßlose, der Fetischismus des reinen Klangs. »Hex; or Printing in the Infernal Method« und alle folgenden Alben – »Hibernaculum« (2007), »The Bees Made Honey in the Lion‘s Skull« (2008) und jetzt »Angels of Darkness, Demons of Light 1« – sind in sich gekehrt. »Earth 2« war ein Statement, das die damalige Grunge- und Metal-Szene aufwühlen sollte, eine Geste der Überbietens, ein gigantischer Stinkefinger, nicht einmal die Melvins haben sich so ein Album erlaubt. Der Carlson der letzten Jahre ist dagegen ein demütiger, illusionsloser, mit unbeweglicher Miene durch das Jammertal der kommerziellen Mu­sik schreitender Einzelgänger. Aber ein öffentlicher Einzelgänger: Earth sind Kult, eine unumstößliche Referenzgröße, Carlson gilt als Pionier einer Art anti-avantgardistischen Avantgarde, als Weiser, der durch die Hölle gegangen ist. Was ja biografisch  auch zutrifft.

 

Das neue Album ist britischen Psychedlic-Folk-Acts wie Pent­angle und Fairport Convention gewidmet. Ganz sicher aber auch den nomadischen Wüstenrockern Tinariwen, die aus dem Nichts, als das die Wüste uns Mitteleuropäern sich darstellt, einen Reichtum der musikalischen Formen hervorzaubern. Opulent ist an der Musik von Earth nach wie vor wenig, aber siehe – da wächst was!