Club Königsforst: »Wir nennen das Schlachthausparadoxon«

Der Königsforst ist Ökosystem, wirtschaftliche Ressource, aber auch ein Ort der Erholung. Forstdirektor Stephan Schütte im Gespräch mit Anja Albert über Trockenstress, Umsatzrenditen und grüne Brücken über die A3

StadtRevue: Herr Schütte, um das Thema Waldsterben ist es ruhig geworden. Zu Recht?

 

Stephan Schütte: Ich möchte auf gar keinen Fall Entwarnung geben, denn der Boden hat ein langes Gedächtnis. Europaweit gab es kein Land, das soviel an fossiler Energie – Stein- und Braunkohle – verbrannt hat, wie Deutschland, Millionentonnen Schwefel regneten nieder. In den 80er Jahren hat die Politik dann reagiert und für eine Entschwefelung der Kraftwerke gesorgt. Jedoch hat der PKW-Verkehr seitdem erheblich zugenommen, so dass wir heute eine hohe Stickoxidbelastung haben. Dies führt ebenfalls zu übersäuerten Böden, wenn auch im geringeren Umfang. Der Königsforst, begrenzt durch die A4 im Norden und zerschnitten durch die A3 im Südwesten, ist davon stark belastet.

 

StadtRevue: Die Zersiedelung der Landschaft ist ja ein Grund für den Rückgang der Artenvielfalt.

 

Stephan Schütte: Ja, aber aktuell haben wir das große Glück, mithilfe der Gelder aus dem Konjunkturpaket, die Fehler der Vergangenheit zumindest punktuell ausrotten zu können. Wir bauen gerade die »grüne Brücke« über die A3, ein bewaldeter Betonbau auf einer Länge von achtzig Metern, um die Naturschutzgebiete Königsforst und Wahner Heide zu verbinden. Dann können die Libelle und die Erdhummel wieder hin- und herfliegen, ebenso wie der Hirsch und das Wildschwein über die Brücke marschieren.

 

StadtRevue: Ein größeres Schreckgespenst ist der Klimawandel. Wie wappnen Sie den Königsforst dagegen?

 

Stephan Schütte: Der Klimawandel ist die größte Herausforderung der letzten 200 Jahre. Wenn das Klima sich hier in fünfzig Jahren um durchschnittlich zwei Grad erwärmt, werden viele Bäume, wie die Fichte, im Königsforst keinerlei Lebenschancen mehr haben. Trockenheit stresst die Bäume immens. Zudem weiß keiner, wie sich Schadinsekten durch die geänderten Bedingungen entwickeln. Wir legen seit einigen Jahren Mischwald an, von dem wir uns mehr Stabilität und Risikostreuung erwarten. Denn jede Monokultur neigt zur Instabilität.

 

StadtRevue: Die Forstwirtschaft hat aber doch jahrelang Monokulturen gepflegt und mit Kahlschlägen dem Königsforst zugesetzt.

 

Stephan Schütte: Das stimmt, liegt aber schon längere Zeit zurück. Der Wald im Rheinland war nach den großen Rodungsperioden im Mittelalter vielerorts ausgeplündert, bis die Preußen kamen und ihn wieder aufforsteten. In den Nachkriegsjahren standen riesige Reparationszahlungen an, es gab sogar staatliche Förderprogramme, um Laub- in ertragreichere Fichtenwälder umzubauen. Zum Glück gab es aber vor rund dreißig Jahren ein Umdenken hin zur naturnahen Waldwirtschaft. Das heißt: Die Vielfalt nimmt zu, der Mischwaldanteil steigt, alte Bäume stehen neben jungen, Laub- neben Nadelwald. Im Königsforst ist seitdem kein Nadelbaum mehr gepflanzt worden.

 

StadtRevue: Wie ökologisch ist die naturnahe Waldwirtschaft nun konkret?

 

Stephan Schütte: Früher haben die Förster gedacht wie Bauern. Ich habe ein Feld und pflanze Bäume darauf, wenn sie groß sind, schlage ich sie alle ab. Heute haben wir dem Kahlhieb abgeschworen und ahmen die Natur nach: Wenn der Baum seine Altersgrenze erreicht hat, bei der Buche circa 250 Jahre, dann wird er zusammenbrechen und es entsteht ein Lichtkegel im Wald. Von den benachbarten Bäumen fallen Samen ab und neue wachsen heran. Das macht man in der naturnahen Waldwirtschaft auch. Der Wald wird regelmäßig durchforstet, damit sich schöne Bäume entwickeln können. Im Gegensatz zu früher lässt man heute in alten Waldbeständen etwa fünf bis zehn sogenannter Biotopbäume stehen, damit zum Beispiel die Spechte darin Höhlen bauen und brüten können.

 

StadtRevue: Welche ökologische Bedeutung hat der Königsforst überhaupt?

 

Stephan Schütte: Der Königsforst ist das letzte große Rückzugsgebiet für bedrohte Tiere und Pflanzen in der Region. Und der Wald ist, im Vergleich zu Kohle und Stahl, eine CO2-neutrale Rohstoffquelle. Der Baum nimmt Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf, wenn das Holz verarbeitet wird, wird der Kohlenstoff indirekt im Tisch gespeichert, bis dieser auf den Sperrmüll geworfen und verbrannt wird.

 

StadtRevue: Ist es demnach nicht unethisch einen Baum zu fällen?

 

Stephan Schütte: Nein. Seit jeher nutzen wir den Wald als Rohstoffquelle. Die Menschen leben heute zunehmend in völlig künstlichen, urbanen Ökosystemen, wir nennen das Schlachthausparadoxon. Die Leute wollen schönen Parkettfussboden, schicke Möbel, warmes Kaminfeuer. Aber wenn man den Baum umsägt, ist das Naturschädigung. Das ist wie mit Fleisch: Wir wollen keine Tiere töten, aber dennoch den Schinken auf dem Brot. Das ist eine Entfremdung der Menschen in den Ballungsräumen von natürlichen Kulturtechniken.

 

StadtRevue: Der Königsforst ist auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

 

Stephan Schütte: Das Holz aus dem Königsforst sichert rund 130 Arbeitsplätze, vom Forstmitarbeiter bis zum Schreiner oder zum Zimmermann. Denn jeder Bürger braucht im Jahr 1,2 Kubikmeter Holz.

 

StadtRevue: Der deutsche Wald lohnt sich also auch.

 

Stephan Schütte: Der Wald rentiert sich zwischen null bis ein Prozent, das ist nicht zu vergleichen mit der Industrie, da sind Umsatzrenditen von acht bis zehn Prozent drin. Wir schaffen es, mit den Verkaufserlösen, eine ökologische Waldpflege zu finanzieren – und das ist unser Ziel.