Die Raufasern der Subversion
Johannes Fritsch hat mal die Anekdote erzählt, dass bei einer Abschlussprüfung einer seiner von ihm sehr geschätzten Schüler eine hochkomplexe Partitur eingereicht habe. Die Prüfungskommission aus lauter hochkarätigen Komponistenprofessoren hätte sich voller Begeisterung über das Stück gebeugt und den jungen Kollegen gefragt, nach welcher Methode er denn arbeiten würde. Die Antwort lautete: Raufasertapete. (Bitte?) Ja, Raufasertapete. Er habe Notenpapier auf die Tapete gelegt und dann deren grobe Struktur abgepaust. So entstand die Komposition. Das Entsetzen unter den Gelehrten sei groß gewesen, meinte Fritsch, aber er habe seinen Spaß gehabt.
Diese Anekdote verrät auch etwas über den vor einem Jahr am 29. April 2010 nach langer Krankheit verstorbenen Fritsch: Als Lehrer drückte er seinen Schüler keinen Stil auf, predigte keine für immer feststehende Methode, sondern bevorzugte – still und listig – das Subversive, Anarchische, Sperrige. Er selbst kam aus der Stockhausen-Schule, arbeitete mit dem großen Karlheinz in dessen offenster und intuitivster Phase zusammen (das waren die späten 60er Jahre) und verließ dessen Kreis rechtzeitig – kurz bevor Stockhausen in monomanisch-mystische Sphären abdriftete. Das Offene und Intuitive hat sich Fritsch für seine eigenen Arbeiten bewahrt. Arbeiten, die er, auch aus Ablehnung der Plattenindustrie, jahrzehntelang nur als Partituren verlegte und die ausschließlich in einer lebendigen Aufführungspraxis zu hören sein sollten. Er war kein Eiferer der Unabhängigkeit, verwirklichte seine künstlerische Autonomie mit erstaunlicher Lakonik.
Vor vierzig Jahren gründete er mit anderen den ersten hiesigen Selbstverlag für Komponisten (Feedback Verlag), baute mitten im Belgischen Viertel ein eigenes Studio auf. Er setzte sich mit Straßenmusik, Jazz und Weltmusik auseinander, konzipierte radiophone Stücke im Geiste einer klanglichen arte povera, erarbeitete Improvisationsmodelle, in denen die vermeintliche Dichotomie von Improvisation und Komposition aufgehoben wurde. Dabei trat der ausgebildete Bratschist selbst als Virtuose in Erscheinung.
Fritsch hat kein Werk hinterlassen, dafür aber zahlreiche, heterogene, immer inspirierende Werke, unendlich viele Anregungen, kritische Reflexionen zur Neuen Musik – und eine ganze Reihe von exzellenten Schülern (die längst keine Schüler mehr sind). Diese Werke werden nicht verschwinden.
Bücher: »Über den Inhalt von Musik. Gesammelte Schriften 1964-2006«, hrsg. von Rainer Nonnenmann und Robert von Zahn, Schott Verlag, Mainz 2010, 338 S., 59,95 €. »Feedback-Studio«, Johannes Fritsch im Interview mit Gerhard R. Koch und Winrich Hopp, DuMont Literaturverlag, Köln 2006, 101 S., 12,90 €