Gustav Kluzis: »Wir werden den Plan der großen Arbeit erfüllen«, 1930,

Widersprüche aushalten

Die Mäzenatin Irene Ludwig hat das Museum Ludwig mit einer spektakulären Schenkung bedacht. Direktor Kasper König erklärt, warum sich Pop und russische Avantgarde bestens ergänzen

StadtRevue: Die erste Schenkung des Sammlerpaars Ludwig erfolgte 1974 zur Museumsgründung, viele folgten und jetzt das generöse Testament. Was bedeutet dieses Vermächtnis für das Museum?

 

Kaspar König: Es bedeutet zuallererst die feste Verankerung der Russischen Avantgarde hier im Haus: Die russische Malerei – sehr stark unter dem Einfluss von italienischem Futurismus, französischem Kubismus und dem deutschen Expressionismus – ist eine vollkommen eigenständige, hybride und wirklich sehr robuste Kunst. Über die Hälfte der Protagonisten Malerinnen, was absolut singulär ist! Die vorrevolutionäre Malerei und dann die sowjetische Avantgarde, das ist museologisch ein unglaublich toller Komplex.

 

Es gibt einen starken politisch-gesellschaftlicher Hintergrund?...

 

...?und auch diese ungeheure Tragik: In der Sowjetunion sind 17 Millionen Menschen auf Grund des Krieges gestorben, entweder von den Deutschen ermordet  oder in Stalins Lagern umgekommen. Und natürlich stellt sich heute für alle Museen das Problem: Wie kann ich individuelle, geistige, manifesthafte Positionen in Beziehung setzen zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, oder eben zu Nicht-Entwicklun­gen. Insofern ist es für mich absolut fantastisch, dass diese Kunst jetzt der Stadt Köln, dem Museum gehört. Irene Ludwig hat sich sehr wohl etwas dabei gedacht, als sie dieses Vermächtnis gemacht hat: einmal Mittelalterwerke für das Schnütgen-Museum, das sehr verankert ist in unserer spezifi­schen Kultur, und eben einen sehr gesellschaftlich relevanten Komplex, nämlich die russisch-sow­jetische Kunst.

 

In der Wahrnehmung stand die ­Popart-Sammlung des Museum Ludwig immer an erster Stelle. Wird sich das jetzt ändern?

 

Das glaube ich schon. Aber es kann sich auch wieder zurück verändern – wer weiß, wie man in dreißig Jahren auf diese Pop-Sammlung blickt, die einmalig ist in Europa. Damals, als sie durch Ludwig erworben wurde, war sie nicht salonfähig – das darf man nicht vergessen.

 

Ihre eigene Amtszeit endet 2012. Wie sehen Sie die Zukunft?

 

Wir werden Ende nächsten Jahres eine Ausstellung machen, die eine Bilanz und einen Ausblick versucht, ähnlich wie das »Museum unserer Wünsche« zu Beginn. Und dann wird man, so hoffe ich, in 15 oder 20 Jahren sehen, was das Museum Ludwig in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts gemacht hat. Wir haben nicht die Dinge gekauft, die teuer und angesagt sind, sondern mit einem gewissen dialektischen Verständnis und in Verbindung zu dem gesammelt, was da ist – etwa die konzeptuelle Kunst der 60er und 70er parallel zur Popart.

 

Ein Bildungs- und Großbürgertum à la Ludwig wird es in der Form wohl bald nicht mehr geben. Welche Konsequenzen hat das für die Kultur?

 

Große. Man sollte aber vor allem darauf hinweisen, welch ein Potenzial die Beschäftigung mit Kunst – ob mit Literatur und ­Poesie, Malerei oder Musik – dafür hat, mit Widersprüchen umgehen zu können. Man darf nicht vergessen, dass dieses Haus sehr umstritten war, als es gebaut ­wurde. Ich glaube es ist extrem wichtig für eine Institution, seine eigene Geschichte immer wieder zu reflektieren.

 

Sie wollen Irene Ludwigs Schenkung auch als Verpflichtung für die Stadt Köln verstanden wissen. Gibt es Aussicht auf eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung?

 

Das ist ja eine Forderung, die wir seit Jahren stellen. Jetzt gibt es einen aktuellen Anlass, sie wirklich ernst zu nehmen, damit das Erbe nicht nur verwaltet, sondern ­wirklich gehoben wird. Haben Sie die letzte Sendung von Harald Schmidt gesehen?

 

Leider nein.

 

Da spricht er über diese einzig­artige Schenkung von Frau Ludwig. Und sagt, es sei eigentlich sehr verwunderlich, dass jemand solche bedeutenden Kunstschätze der Stadt Köln schenkt. Weil man ja dann wolle, dass sie schnell zerstört werden. Es regnet ins Fenster auf den Pollock, egal. Werke versinken in Baugruben, egal. Ist ja Köln, unglaublich.

 

Grüße an die Politik. Ich würde ­lieber mit Pollock enden, der Geschich­te zu dem Bild aus Irene Ludwigs Privathaus, das jetzt ins Museum kommt.

 

Die ist wirklich unglaublich. Das Bild, ein geradezu manieristisch anmutendes, extremes Querformat, gehörte Peggy Guggenheim, es hing in ihrem Haus über dem Kamin. Bei einer Cocktailparty hat Max Ernst – er war ja verheiratet mit Peggy Guggenheim – Jackson Pollock, den jungen wilden Typen darauf hingewiesen, dass er – also Max Ernst – doch eigentlich der Erfinder der Drip-Malerei sei. Pollock muss wohl ziemlich betrunken gewesen sein und hat ihm nicht geantwortet, sondern stattdessen in den brennenden Kamin gepisst. Cowboy­mäßig, ja. Aber es ist gut, wenn man weiß, was ein Drip ist.