Gegen den Uhrzeigersinn
Manchmal schafft die Bewegung den Sinn. So beweist sich eine Ausstellung auch in ihrer Choreographie: Welche Bedeutungen entstehen auf den möglichen Wegen, welche Verknüpfungen? Eigentlich sollten diese Fragen bei der aktuellen Ausstellung im NS Dok keine Rolle spielen, ist ihr Thema doch deutlich umrissen: »Kunst und Gedenken« versammelt Arbeiten von 13 Kölner Künstlerinnen und Künstlern in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Und doch, es empfiehlt sich, den Weg links herum zu bestreiten.
So trifft man zuerst auf die vielleicht stillsten Arbeiten der Ausstellung, die Zeichnungen von Ingeborg Drews. Sie portraitiert im Zyklus »Verfemt – Verbannt – Verbrannt« Intellektuelle, die Opfer des Faschismus wurden und somit auch dessen zerstörerische Auswirkung auf die Kultur. Eine im Angesicht schlimmsten Grauens so schwierige wie bedeutsame Perspektive. Jenes Grauen trifft einen umso unmittelbarer in den nun im Rundgang folgenden Installationen von Ulrike Oeter. Die Verschleppten erscheinen als Namen und Bilder auf Filztafeln sowie in Gegenständen ihres Alltags, kunstvoll nachgebildet aus dünnem, durchscheinendem Papier – emotionale Anklage und stilles Echo zugleich. Schwarzlicht transzendiert und illuminiert die Gegenstände aus »Mein geheimes wucherndes Archiv« zu eindringlichen Nachbildern. In ihrem »Mobilen Straßenmuseum« arbeitet Oeter auf eine Weise gegen das Vergessen, die mit Gunter Demnigs auch im Stadtbild präsenten »Stolpersteinen« zu vergleichen ist. Deren Präsentation in der Ausstellung liegt ein Zeitungsartikel bei, der darauf verweist, dass das Finanzamt den Stolpesteinen kürzlich den Kunststatus aberkannte. So definiert der Fiskus das Gedenken.
Den Stolperstein der Ausstellung trifft man auf halber Strecke. Mittig im Raum, so präsent wie unscheinbar, wartet eine Gruppe blassgrauer Skulpturen von Barbara Riege. Ihre hageren, langgestreckten Körper lassen an Giacometti denken, doch in stillerer Präsenz. Gesten der Richtungslosigkeit und des Grübelns bezeichnen die »Vergessene Generation«. Es sind jene als Kinder traumatisierten, deren Leben unabänderlich mit dem Krieg und einer faktisch absurden Schuldfrage verbunden bleibt. Eine tatsächlich schweigende, erst allmählich in der Erinnerungskultur wahrgenommene Generation.
Erst hier wird offenbar, dass in dieser Ausstellung die Werke jener, die über unmittelbare Erfahrungen verfügen, in der Minderheit sind. So geht es auch um eine Sozialgeschichte des Erinnerns. Viele der gezeigten Arbeiten gedenken nicht aus persönlicher Erfahrung, sondern mahnen, nicht zu vergessen. Gleichwohl wirken die Werke der in den frühen 50er Jahren Geborenen am Unmittelbarsten, fordern, ringen, leiden.
Nun passen Mahnmale nur schwer in das individualisierte Selbstverständnis der Nachkriegsmoderne, nicht allein aus diesem Grund stellt sich Künstlern seit Jahrzehnten die Herausforderung, Gedenken lebendig zu halten. Die Frage, ob der Künstler dabei, wie etwa Marcel Odenbach, respektvoll hinter das Werk zurücktritt oder aber sich gar in dessen Mittelpunkt begibt, wie es Rolf Steiner tut, beschreibt auch eine psychologische Dimension. Steiner mag mit seinen Arbeiten die Grenze zur Anmaßung überschreiten, wenn er sich als Deportierter imaginiert. Zugleich verkörpert er Hilflosigkeit und Zorn der Nachgeborenen. Solange es etwas abzuarbeiten gibt, ist Gedenken mehr als eine ferne Geschichte. Dies ist eine Einsicht der zweiten Hälfte des Rundgangs.
Steiners Form der identifikatorischen Auseinandersetzung verblasst im Angesicht der Gemälde von Jürgen Knabe, zu ihnen führt der Weg zurück. Die an Ensor, Matisse und den Malweisen der Expressionisten geschulten Bilder verknüpfen in lodernden Farben eigenes Erleben mit den von ihm thematisierten historischen Ereignissen. Knabes Symbolismus überwältigt mit unmittelbarer Kraft und erforscht zugleich das Wesen des Grauens.
Vor allem die Erinnerung an den Holocaust bewegt, durch alle Generationen hinweg, die Arbeiten. Sigmar Polkes lakonisches Detailfoto des Kölner Doms »Skulptur eines unbekannten Meisters (vermutlich englischer Bomberpilot)« bleibt die Ausnahme. Sein Ton hallt aber länger nach als viele in Form und Sprache bekannte Gesten. Betroffene Sprachlosigkeit nicht zur beklommenen Gewohnheit werden zu lassen, ist längst zentrale Aufgabe des Gedenkens. Von hier aus mag man über dessen Bedeutung für jüngere Künstlergenerationen spekulieren. Dass sie hier fehlen, mag symptomatisch sein. Tatsächlich: eine Ausstellung gegen den Lauf der Zeit.