»Klingelmännchen war schrecklich«
StadtRevue: Frau Berg, eigentlich wollten wir mit Ihnen über Gier reden, aber Sie wollten nicht...
Ute Berg: Mut fand ich besser. Es hätte aber auch jeder andere Begriff sein können, der positiver besetzt ist als Gier. Ich habe mir einen Begriff gewünscht, von dem ich mich nicht ständig abgrenzen muss. Außerdem finde ich es klischeehaft, ständig Wirtschaft mit Gier in Verbindung zu bringen, auch wenn es die etwa bei vielen Bankern in der Wirtschaftskrise natürlich gab.
Was ist denn für Sie positiv an Mut?
Mut benötigt man, um verantwortungsvoll Aufgaben anzunehmen. Mut bedeutet auch, nach reiflichem Abwägen eine Position zu entwickeln, die man dann auch gegen Widerstände durchsetzt.
Sind Sie im Alltag mutig?
Ich bin nicht tollkühn oder übermütig, aber ich bin entscheidungsfreudig. Das hat sicher etwas mit Mut zu tun. Und ich bin jemand, der seine Meinung deutlich artikuliert.
Mut gründet immer auf Optimismus, dass es gut ausgehen wird, auch wenn ein Risiko besteht, zu scheitern.
Das stimmt. Mut hat immer mit Zuversicht und Vertrauen zu tun. Ich bin zunächst immer positiv eingestellt und habe Vertrauen – zu den Menschen, die mich umgeben, aber ebenso zu mir selbst. Ich will aber nicht selbstgerecht sein. Ich kenne meine Fähigkeiten, aber auch meine Schwächen.
Ist Anerkennung die Belohnung für Mut? Niemand springt vom Zehnmeterbrett, wenn keiner zuguckt.
Ich habe neulich Plakate eines Hilfswerks gesehen, darauf stand sinngemäß: Mut ist, zu bleiben, wenn die Kameras und die Schlagzeilen schon verschwunden sind. Das finde ich zutreffend. Es ist nicht Mut, etwas nur zu tun, um Anerkennung zu bekommen. Sicher, jeder braucht Anerkennung. Das sollte aber bei Entscheidungen, erst recht bei mutigen, nicht im Vordergrund stehen.
Wie viel Mut brauchen Sie, um als Dezernentin in einer Stadt zu arbeiten, die als Klüngel-Hauptstadt gilt?
Ich war ja zuvor in Kiel. Da haben natürlich einige gesagt, Köln sei ein heißes Pflaster in dieser Hinsicht. Ich finde aber, dass das ungerecht ist. Bisher habe ich hier sehr viel Positives erlebt. Ich bin zum Beispiel über alle Parteigrenzen hinweg sehr offen empfangen worden. Das kenne ich auch anders.
Sie sind für Wirtschaft zuständig. Ist es mutiger, sich als Frau auf Wirtschafts- statt etwa auf Familienpolitik zu konzentrieren?
Mut ist individuell und nichts, was man generell auf Männer oder Frauen beziehen kann. Mut bedeutet aber, bereit zu sein, sich in ungewohnte Situationen zu begeben. So müssen Frauen, die in die Wirtschaft gehen, vielleicht etwas mutiger sein, weil hier Männer dominieren. Aber auch ein Mann, der sich als Erzieher bewirbt, ist mutig – weil es in unserer Gesellschaft nicht üblich ist, dass Männer sich in diesem Berufsfeld verwirklichen.
Würden Sie sich den Weg durch einen Pulk angetrunkener Fußballfans bahnen, um die Straßenbahn noch zu erwischen?
Ich würde die nächste Bahn abwarten, so viel Zeit habe ich. Das wäre für mich sonst Übermut. Es wäre ein Risiko ohne wirklichen Gegenwert. Stünde aber jemand in dem Pulk, der angepöbelt wird, wäre es etwas anderes. Zivilcourage finde ich ganz wichtig. Wir wissen nicht, wie wir in Extremsituationen handeln, aber ich hoffe und habe den Anspruch, verantwortungsvoll zu handeln.
Welche Person haben Sie zuletzt für ihren Mut bewundert?
Frank-Walter Steinmeier, als er eine Niere für seine Frau gespendet hat. Und das sage ich nicht, weil er in meiner Partei ist. Wenn ich die deutsche Geschichte betrachte, dann fallen mir natürlich die Widerstandskämpfer im Dritten Reich ein. Die muss man einfach für ihren Mut bewundern.
Und Ihre Parteigenossin Andrea Nahles? War das Interview mutig, bei dem sie über die Angst gesprochen hat, was ihre Schwangerschaft für die Karriere bedeuten könnte?
Es ist mutig, über Ängste zu sprechen. Gerade als Politikerin, denn das kann ja immer vom Gegner instrumentalisiert werden. Wenn sie das so empfindet, ist es authentisch, das so zu formulieren. Ich würde das wahrscheinlich nicht machen.
Sie haben früh Ihr erstes Kind bekommen, gehört dazu Mut?
Mein erstes Kind habe ich kurz nach dem Abitur bekommen, das zweite drei Jahre später gegen Ende meines Studiums. Damals gab es kaum Betreuungseinrichtungen, so dass wir alles selbst organisieren mussten. Optimismus und Zuversicht gehören dazu.
Verpasst man etwas, wenn man mutlos ist?
Ich glaube, ja. Mutig zu sein heißt ja auch, aktiv zu sein. Mutige Menschen haben sicherlich ein erfüllteres Leben als mutlose.
Kinder machen Mutproben. Haben Sie als Kind gekniffen?
Ich erinnere mich nur an eine Situation, wo wir Klingelmännchen gespielt haben. Das war so eine Art Mutprobe. Ich hab’s gemacht, aber ich fand es schrecklich.