Durchdachte Gegenoffensive
Wie kann es sein, dass trotz der massenweisen Abwanderung nach Berlin in Köln immer noch Ateliernotstand herrscht? Nach wie vor beschreiben die Künstler, die sich partout auf Köln kapriziert haben, die Situation als ungenügend. Doch erfreulicherweise mehren sich die Meldungen gut durchdachter Gegenoffensiven.
Zum Beispiel die der Ateliergemeinschaft im ehemaligen Pektinwerk Opekta in der Xantenerstraße in Nippes. Mit Unterstützung des Kulturamts wurde 2009 eine Etage in 15 Ateliers umgebaut. Damit nicht genug, die Künstler konnten die RheinEnergieStiftung Kultur gewinnen, einen der Räume als Gastatelier zu finanzieren. Erste Nutznießerin des 42 Quadratmeter großen Raumes mit Schlafetage ist die intermediale Künstlerin, Kuratorin, Autorin und Fotografin Crys Cole aus Kanada. Danach folgen Gäste aus Taiwan, Korea und Neuseeland. Die Opekta-Künstler bringen »frischen Wind für die Ateliergemeinschaft« wie für den Kunststandort Köln durch internationale Vernetzung. Erste Kooperationen mit ortsansässigen Kuratoren und Institutionen sind schon geknüpft.
Eine der gerade frisch gekürten 18 neuen StipendiatInnen des Kölnischen Kunstvereins ist Oxana Omelchuk, die 2002 für ein Kompositionsstudium aus Weißrussland nach Köln kam und derzeit eine Kunstform zwischen Musik und Theater entwickelt. Für sie verbindet sich damit die für Musiker traumhafte Möglichkeit, ungestört und zu jeder Zeit arbeiten zu können. Sie sieht den Raum aber auch als Treffpunkt, an dem Konzerte, Lesungen oder Diskussionen stattfinden könnten, »so eine Art Experimental-Studio oder Künstler-Laboratorium«.
Bereits seit 2003 läuft das Atelierprogramm des Kölnischen Kunstvereins. Dem Engagement der damaligen Kunstvereinschefin Kathrin Rhomberg ist es zu verdanken, dass die leerstehenden Büroräume im hinteren Teil des Hauses an der Hahnenstraße mit Unterstützung des Kulturamts und der RheinEnergie StiftungKultur in ein Atelierprogramm eingebunden wurden. Mit der Imhoff-Stiftung und deren großzügigen Räumen im Schokoladenmuseum konnte man einen weiteren Partner hinzugewinnen.
Die Atelierstipendien haben sich inzwischen zu einem wichtigen Kreativpool mitten in der Stadt entwickelt. Von Anfang an hatte die Interdisziplinarität hohe Priorität, kommuniziert mit den Kollegen aus der Kunsthochschule für Medien oder dem Kölner Literaturhaus. Unter den Stipendiaten finden sich Maler, Bildhauer, Fotografen, Musiker, Literaten, Theaterleute, Texter, Filmer, Tänzer und Performer – um nur eine grobe Orientierung zu geben. Denn viele sind spartenübergreifend unterwegs, für manche müsste eine exakte Berufsbezeichnung erst erfunden werden.
Der Begriff des Künstlers hat sich radikal verändert und damit auch der des »adäquaten« Arbeitsraumes. Die Arbeit am Rechner oder am Mischpult stellt, anders als ein Maleratelier, keine großen Raumanforderungen – desto wichtiger sind gute Erreichbarkeit und Anbindung an die Kumulationspunkte der Stadt. Das weiß auch die Kuratorin, Journalistin und StadtRevue-Autorin Marion Ritter zu schätzen, die hier nicht nur das Redaktionsbüro für ihren artblog cologne einrichtet, sondern auch einen alternativen Ausstellungsraum eröffnen will: »Ich möchte hier mit kuratorischen Praktiken experimentieren – der Raum könnte ein Satellit für ausgesuchte internationale Projekte und Institutionen sein.« Unter den neuen Nachbarn finden sich viele Anknüpfungsmöglichkeiten für internationale Kontakte. Im Juli werden alle ihr kostenfreies neues Domizil beziehen; die Vereinbarung gilt für vier Jahre. Die Auswahl konzentriert sich auf die Generation um die dreißig, eine Altersbeschränkung gibt es nicht.
Seit Anfang 2010 steht in der Brücke zudem ein Wohnatelier zur Verfügung, das im Rahmen des Residency-Programms der Kunststiftung NRW Künstlern aus Istanbul, Mumbai oder Tel Aviv einen sechsmonatigen Aufenthalt mit finanzieller Unterstützung ermöglicht. Momentan ist die indische Foto-Künstlerin Shrutti Garg aus Mumbai zu Gast. Ende Juni läuft ihr Stipendiat aus, aber sie hofft, über andere Finanzierungen länger in Köln bleiben zu können. Am »Tag der Offenen Ateliers« im Juni wird sie ihre Arbeit präsentieren, zusammen mit der gesamten »alten« Riege der Atelierstipendiaten, die derzeit noch an der Hahnenstraße und am Rhein residiert. Die mit ihrer unvergleichlichen Lage nicht weniger begehrten, großzügigen Räume im Schokoladenmuseum werden Anfang kommenden Jahres neu bezogen.