Delegation des Hedschas auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 (vorne Prinz Faisal, rechts dahinter Lawrence), © Imperial War Museum London

Krieg und Frieden in Arabien

Archäologe, Kriegsheld, Spion? Das Rautenstrauch-Joest-Museum untersucht den Mythos »Lawrence von Arabien«

 

Auf einer Fotografie vom 3. Oktober 1918 ist der britische Archäologe, Militär und spätere Schriftsteller T.E. Lawrence auf einem Balkon des Victoria Hotels in Damaskus zu sehen. Er trägt orientalische Kriegertracht, der Griff eines Krummsäbels ragt ins Bild. Sein verschatteter, über die eroberte Stadt streifender Blick scheint außer Erschöpfung und Skepsis über das Erreichte nichts preisgeben zu wollen. Im Augenblick seines größten Triumphs wirkt Lawrence so unnahbar und geheimnisvoll wie die Wüste, der er seinen Beinamen »von Arabien« verdankt. Beinahe einhundert Jahre und zahllose Artikel, Bücher und Filme später hat sich daran kaum etwas geändert.

 

Die ikonische Aufnahme von Thomas Edward Lawrence zählt zu den sprechendsten Dokumenten der Ausstellung »Lawrence von Arabien – Genese eines Mythos«. Es mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, dass ein Museum für die Kulturen der Welt seine zweite große Sonderschau ausgerechnet einer zwischen Dichtung und Wahrheit gefangenen Figur widmet. Bis heute ist umstritten, welchen Anteil der 1935 tödlich verunglückte Abenteurer tatsächlich am arabischen Aufstand gegen die türkischen Besatzer hatte und wie »edel« seine Motive waren. Außer Zweifel steht, dass sich der junge Orient-Gelehrte bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum britischen Militärdienst meldete und sich 1916 als Verbindungsoffizier den arabischen Truppen von Prinz Faisal anschloss.

 

Das Osmanische Reich gehörte zu den vom deutschen Kaiserreich angeführten Mittelmächten, weshalb Faisals zweite Front den britischen Interessen entgegenkam. Gemeinsam mit Lawrence entwickelte Faisal eine erfolgreiche Guerilla-Strategie, ritt eine siegreiche Attacke auf die für uneinnehmbar gehaltene Festung Akaba und kam am 31. September 1918 noch vor den Briten in Damaskus an. Allerdings hatten die Imperialmächte Frankreich und Großbritannien zu diesem Zeitpunkt die Neuordnung der arabischen Halbinsel bereits unter sich ausgemacht. Lawrence war darüber früh unterrichtet und scheint bis zuletzt wider besseres Wissen gehofft zu haben, die Entente-Länder würden ihre gegenüber Faisal gemachten Versprechen einhalten. Es kam anders, und Lawrence hat sich dies nie verziehen.

 

Die lebendigste Beschreibung des zum Scheitern verurteilten arabischen Freiheitskampfes hat Lawrence in seinem monumentalen Buch »Die sieben Säulen der Weisheit« hinterlassen. Auf ihr beruht auch David Leans Filmklassiker »Lawrence von Arabien«, der das Bild von Lawrence am nachhaltigsten geprägt hat. Geboren wurde der Mythos schon kurz nach Ende des Kriegs: Der US-Journalist Lowell Thomas stellte Lawrence in einem Diavortrag als einen der wenigen Helden des als mörderische Materialschlacht in die Geschichte eingegangenen Weltkriegs vor und machte sich maßgeblich um die im Rautenstrauch-Joest-Museum untersuchte Genese des Mythos verdient. Dass ihm ein eigener Ausstellungsraum gewidmet ist, erscheint selbstverständlich, schließlich treten hier Aneignungsformen des Fremden in direkte Konkurrenz: massenmediale »Ausbeutung« und wissenschaftliche »Rekonstruktion«.

 

In diesem Spannungsfeld bewegt sich die gesamte Präsentation. T.?E. Lawrence bietet sich geradezu an, um den erobernden Gestus jeder Darstellung einer fremden Kultur sichtbar zu machen. Neben biografischen und militärhistorischen Stationen durchwandert man deswegen auch Exkurse zur Archäologie, dem Orientalismus der Jahrhundertwende und nicht zuletzt zur populären Vermittlung kulturhistorischer Erkenntnisse. Ob der erste Schauraum aus einer überlebensgroßen Comicwand bestehen muss, ist eine andere Frage.

 

Die Ausstellung bietet das, was man erwarten kann: Eine sachkundige, mit zahlreichen Bildern und Objekten illustrierte Einführung in Leben und Wirken von Lawrence und Ansatzpunkte zur Frage, wie sich das Fremde im Museum angemessen darstellen lässt.

 

Wer mehr erhofft, wird enttäuscht. Auch die großformatigen Fotografien des Kölner Künstlers Boris Becker, der 2010 eine Reportagereise auf den Spuren von Lawrence unternahm, tragen wenig zum tieferen Verständnis bei. Im Vergleich hinterlassen die fiktiven Bilder aus David Leans Filmklassiker einen stärkeren Eindruck – wie überhaupt die Ausstellung eher als nützliche Ergänzung des vorzüglichen Films erscheint als umgekehrt.

 

Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, Cäcilienstr. 29, Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr,  bis 11.9., Der Katalog ist im Verlag Philipp von Zabern erschienen (im Museumsshop 19,90 €)