Christian Gieraths: Mumbai
Zu sehen ist auf dem Foto zunächst nur Müll. Abfall aus indischen Haushalten, im Format 2,15 mal 1,50 Meter. Nur eine blaue Plastikfolie setzt einen Farbtupfer. Die Rahmung durch den Bürgersteig im Vordergrund und den schwarzen Horizont legt nahe: zwischen Himmel und Erde gibt es nur Müll. Die Ironie liegt in leeren Joghurtbechern mit der Aufschrift »O2 rise«, dem Namen eines indischen Unternehmens.
Der 31-jährige Kölner Fotograf Christian Gieraths hat ein halbes Jahr als artist in residence im indischen Mumbai verbracht und zeigt nun erstmals seine Serie »Beautiful Hell – Mumbai« mit Aufnahmen, die von Klischees weit entfernt sind. Keine Farborgien, keine Feier der Exotismen. Stattdessen Innenräume riesiger alter Kinos, Strukturen einer Art Deco-Wandverkleidung; Straßenszenen mit Kartenspielern, eine Hausfassade, deren strenge Ordnung sich durch Pflanzen, Rohre, aufgeplatzten Putz und einen roten Motorroller auflöst. Es sind, abgesehen von den wiederkehrenden Kino-Aufnahmen, Motive eines streunenden Blicks.
Gieraths hielt sich im Rahmen des 2010 aufgelegten Stipendienprogramms der Kunststiftung NRW in Indien auf (im Austausch bietet der Kölnische Kunstverein Stipendiaten ein Gastatelier). Obwohl mit Serien über Bukarest, Havanna oder Sotchi erfahren mit fremden Kulturen, sah er sich angesichts der »Masse an Menschen, an Müll und an Chaos« zu einem »Umdenken in der Bildsprache gezwungen«, wie er sagt. Gierath hat Kunst bei Ulrich Erben in Münster und Fotografie bei Thomas Ruff in Düsseldorf studiert; der Einfluss der Düsseldorfer Schule war in seinen bis dato menschenleeren Settings unverkennbar. In Indien wählt er nun erhöhte Standpunkte und integriert erstmals Menschen in die Bilder. So in dem gewaltigen Triptychon vom Abbau einer Kirmes oder einer Straßenszene mit Werbeplakatorgien. Doch Gieraths Aufnahmen wahren Distanz. Es bleibt der kühle, beobachtende, vielleicht auch beruhigende Blick, der sich davor hütet, Urteile über den indischen Alltag zu fällen. Der Blick eines Europäers, der sich nicht aus falsch verstandener Weltläufigkeit gemein macht, sondern die fremde Kultur als letztlich unverständlich respektiert.