Das große, bunte Was-auch-immer

Das Kölner Label Sonig feiert 15. Geburtstag mit Musik von Schlammpeitziger und einem dicken »Ding«

Jo Zimmermann hat ein Lieblingswort. Zumindest ist es das, was er am häufigsten verwendet: et cetera. Es taucht in seinem kölschen Redefluss schon mal mehrfach hintereinander auf, es ein Wort, das wunderbar zu seiner wurmfortsatzartigen Kunst passt.  Zimmermann zeichnet,  schnipselt Videos (meist mit Ulrike Göken) und veröffentlicht als Schlammpeitziger Musik auf dem Kölner Label Sonig.

 

Dabei schafft er es, immer noch einen weiteren Schnörkel anzuhängen, immer noch einmal um die Ecke zu denken. Schlammpeitziger spricht einen sofort erkennbaren kreativen Idiolekt, der wie das et cetera am Ende seiner Sätze funktioniert: wie die Möglichkeit, dass es stets weitergeht zur nächsten Überraschung.

 

Das erste Album »Erdrauchharnschleck« erschien 1993 auf Kassette beim Label Entenpfuhl, betrieben von Frank Dommert. Entenpfuhl gibt es nicht mehr, aber Dommert ist immer noch Zimmermanns Labelboss. Mitte der 90er Jahre war Zimmermann als Tourmanager mit Andi Toma und Jan St. Werner von Mouse On Mars unterwegs. Irgendwann im Bus beschloss man die Gründung einer gemeinsamen Plattform: Sonig. Es war eine Idee, entstanden »in meinen fiebrigen zehn Minuten wieder mal«, wie Jan St. Werner sagt.

 

Zu einer Zeit, in der elektronische Musik, gerade solche aus Köln, mit Aufbruch und Aufregung assoziiert wurde, stand man bei Sonig für jenes Andere, das auch der angeschlossene Plattenladen und Vertrieb a-Musik im Namen trägt: für ins Kraut schießende Popmusik-Skizzen, die anderswo, wo gerade Beats die Vorgabe sind, durch das Raster fallen. Znächst nahm es einiges an Energien in Anspruch, sich von der Zuschreibung »Ah, das Mouse-On-Mars-Label!« zu befreien. Später war man dann ständig mit der Frage konfrontiert: »Was soll denn das jetzt wieder?!« Eine Konstante, die bei Sonig bis heute besteht. Denn hier wird seit 15 Jahren Unberechenbarkeit gepflegt.

 

Im Interview sprudeln die Aussagen von Dommert und Werner nur, so als wären sie noch in den frühen Tagen, wo es darum ging, erst einmal zu definieren, was und wie und warum Sonig sein soll. Das Thema Humor in der Musik zum Beispiel: superwichtig bei Sonig – und trotzdem ein Streitthema. Die Rollen sind gerecht verteilt. Dommert klopft den Rhythmus der Pragmatik bei Alltagsgeschäft, Repertoire- und Künstlerpflege. Jan St. Werner soliert dazu in gedanklichen Pirou-etten über das Wesen der Musik im Allgemeinen und den Sonig-Sound im Besonderen. (Andi Toma erledigt derweil im Hintergrund viel Studioarbeit.) Dass es einen Sonig-Sound gibt, steht für Werner außer Frage. Auch wenn  das Spektrums vom quirligen Pop Kevin Blechdoms und Nathan Michels über den Avantgardismus Michel Waisvisz bis zu Kai Althoffs Workshop-Songs und den Spitzbübeleien Patric Catanis oder Jason Forrests reicht. »Wir sind eben kein Label, das in Worten spricht«, erklärt Jan St. Werner. »Es ist ein bisschen Onomatopoesie und hat auch etwas von Tourette.«

 

Beim Paket, das man zum 15. Geburstag des Labels schnürt, behilft man sich charmant hilflos im Titel mit einem: Ding. Das »Sonig Boxset Thing« versammelt auf zwei randvollen CDs Musik quer durch die Labelgeschichte, eine DVD mit dem Videowerk sowie ein Booklet, in dem unter anderem der Musiker und Theoretiker David Grubbs fasziniert seine Kapitulation vor den eigenen Linernotes erklärt. Nach welcher Logik dieses Ding zusammenpasse, so Grubbs, sei ihm selbst noch nicht ganz klar. Schlammpeitziger könnte ihm aushelfen. »Für mich ist das wie ein großer Bienenstock, in den aber nicht nur Bienen reinfliegen«, erklärt er seine Vision von Sonig. »Alle möglichen komischen Tieren landen da und setzen ihren Nektar ab, et cetera: ein großes, buntes, nicht gleichförmiger Was-auch-immer.«

 

Wenn ein Geburtstag ansteht, schleicht sich auch Verklärung durch die Hintertür herein. Dann hat Jo Zimmermann plötzlich wieder das Bild vor Augen, wie er in der Küche des alten a-Musik-Ladens, damals am Brüsseler Platz, eigenhändig Urlaubsfotos auf seine Platte »Freundlichbaracudamelodieliedgut« klebte. Von damals bis heute ist viel passiert, manches über den Haufen geworfen worden, aber trotzdem ist nicht alles anders. »Solide Orts-bestimmung« heißt ein Stück auf Schlammpeitzigers neuem Album, seiner Psychedelic-Disco-Platte, wie er sagt. »Ich bin da, wo ich war«, singt er. Lokalpatriotischer Stolz wird von Trauer und Nachdenklichkeit gebrochen. Mouse On Mars sind nicht die einzigen Angehörigen der Sonig-Familie, die mittlerweile in Berlin leben. Aber solche Bedenken wischt Frank Dommert vom Tisch: »Klar gab es früher in Köln einen großen Pool. Und jetzt gibt es fast mehr Leute in Berlin. Aber es gibt ja auch mehr Internet als früher.«

 

Wie geht es also weiter mit dem Ständig-alles-über-den-Haufen-Werfen? Man könnte mit Candie Hank antworten. Der ist auf der DVD von »Sonig Boxset Thing« im Interview mit sich selbst zu sehen und sinniert über seine Musik: »Hieroglyphen der Hysterie. Labyrinthe der Zwangsneurose, man könnte es fast so nennen. Zauber der Potenz. Orakel der A-, Angst, vielleicht auch.« Solange solche Wortketten nicht in der Lage sind, die Musik zu bändigen, muss man sich über zukünftige Sonig-Etceteras keine Sorgen machen.