Der Geruch von Tränengas

Peter Brötzmanns Brachialwerk »Machine Gun« ist wiederveröffentlicht worden. Eine listening session

Im März konnte man dem Wuppertaler Saxofonist Peter Brötzmann zum 70. Geburtstag gra-tulieren. Nur wenige Monate danach ist seine zweite, wohl bekannteste LP »Machine Gun«, aufgenommen im Mai 1968, endlich auf Vinyl wiederveröffentlicht worden. Im November gastiert Brötzmann in Köln. Gute Anlässe also für die Fachgruppe Free Jazz der StadtRevue, sich zum Gipfeltref-fen zu verabreden. Das Titelstück läuft in maximaler Lautstärke.

 

Felix Klopotek: Das ist Evan Parker, der da gerade spielt. Die Abfolge der Saxofonsoli ist Evan Parker, Willem Breuker, Peter Brötzmann.

 

Christian Meier-Oehlke: Erkennst du das oder weißt Du das?

 

Das erkenne ich! (Pause) Nee, das weiß ich auch. Das ist dieses verknäulte Spiel, das charakteristisch für Parker ist. Der hatte schon damals die Faust lieber in der Tasche, hat nicht so dick aufgetragen, hat eher immanent gearbeitet.

 

Die Aufnahme trägt gerade aber auch nicht so dick auf, man hört fast nur noch die Bläser.

 

Die Aufnahme ist ja auch unter legendären Bedingungen entstanden, in der »Lila Eule« in Bremen. Am Abend wurde gespielt, am Morgen aufgenommen. Und es wurde viel getrunken zu der Zeit, da wurde richtig gebechert.

 

Die Stelle hier gerade, unglaublich. Die Platte ist nur einen Monat jünger als ich, fühlt sich aber deutlich frischer an.

 

Weil die Stücke komponiert sind. Man denkt ja immer, das ist DAS Statement des Freejazz, dabei ist genau abgesprochen, wer wann seinen Einsatz hat. Es geht darum, die Struktur mit Spontaneität zu füllen. Die Platte klingt dadurch sehr präsent.

 

Du hast schon Recht, das klingt alles viel strukturierter, als man denkt. Das ist gar nicht nur dieses wilde Gemetzel, dieses Bombeninferno. Die Musik ist viel klarer als erwartet, aber immer auch Mai 1968! Revolte, Zorn, Aufbegehren, der Geruch von Tränengas.

 

Das Politische der Platte hat Brötzmann lange Zeit übrigens bestritten und erzählt, Don Cherry habe ihm auf einem Workshop den Spitznamen Machine Gun gegeben, weil er wie ein solches klänge. Dann habe er eben beschlossen, okay, dann machen wir eine Platte, die so klingt. Vor Jahren hat mir Brötzmann dann aber erzählt, dass »Machine Gun« doch politisch gemeint war. Als Reak-tion darauf, dass man überall gesehen hat, wie die Bullen Leute platt prügeln. Als Hass-Statement gegen das System. Er hat mir auch von dem Ekel über die deutschen Verhältnisse, der Wut auf die -Eltern und der Scham, die er ganz lange empfunden hat, in anderen Ländern zu spielen, erzählt. Das ist übrigens jetzt Brötzmann, der da jault.

 

Und Schluss. Ganz schön kurz, dieses »Machine Gun«. Wir bleiben bei der LP. Sehr schön aufgemacht, dickes Siebdruckcover. Hin-ten drauf die charakteristi-schen Schwarz-Weiß-Fotos der Musiker, mit einem unfassbar jung aussehenden Sven-Åke Johansson am Schlagzeug.

 

Die waren ja alle total jung, lass uns mal durchgehen: Johansson wur-de in dem Jahr 25, Peter Kowald war gerade 24 geworden, Willem Breuker wurde 25 und weilt wie Kowald leider nicht mehr unter uns. Brötzmann war 27, Fred van Hove mit 31 der Älteste, Han Bennink war 26, Buschi Niebergall, der zweite Bassist, war 29. Der ist 1990 völlig vereinsamt gestorben.

 

Kann es sein, dass die Platte so radikal klingt, weil die Musiker damals schon wussten, dass sie mit ihrer Musik nie wirklich Geld verdienen werden?! Ist gewissermaßen das ökonomische Scheitern bereits in dieser Energie kulminiert?!

 

Umgekehrt, das ist die große Selbstbehauptung, die da kulminiert. Brötzmann hat ja alles selbst gemacht. Konzerte organisiert, Plakate gedruckt, die Platten verkauft, die Aufnahme selbst bezahlt.

 

Und dann gibt er auf der Bühne immer alles, eine absolut humorlose Hochenergieleistung, keine Kommunikation mit dem Publikum, schiere Konzentration auf die Musik. Jetzt die zweite Seite, »Responsible«, das swingt sich gut rein. Es ist schon erstaunlich, dass ein kleines Düsseldorfer Punklabel diesen Meilenstein des Free Jazz wieder zugänglich macht. 

 

So absonderlich ist diese Traditionslinie nicht. In Köln fand Free Jazz bereits seit Mitte der 60er Jahre im damaligen »Salt Peanuts« statt, dem heutigen Tsunami. Köln war damals eine heimliche Free-Jazz-Hauptstadt, eine sehr heimliche allerdings. Hör mal, jetzt spielen sie ja richtig schön gerade. Das müssen Breuker und Parker sein. Für Brötzmann ist das Ins-trument primär ein Soundgenerator, spielerisch hat er sich erst ab den 70er Jahren entwickelt. 

 

Jetzt kommt das dritte und letzte Stück, »Musik für Han Bennink«, eine Hommage an den damals wichtigsten Schlagzeuger der Szene. Das erste Solo auf diesem Stück spielt aber nicht Bennink, sondern Sven-Åke Johansson. So viele wichtige Schlagzeuger gab es ja damals nicht.

 

Johansson spielt hier gerade seine charakteristischen Pulsketten, toll.

 

Versteht sich Brötzmann noch als Linker?

 

Ja, aber als resignierter. 1974 hat er in Polen bei einem Fernseh-Auftritt zum Abschluss Eislers »Einheitsfrontlied« improvisiert, das war natürlich ein Affront. 

 

Erstaunlich, dass Brötzmann 1974 in Polen spielen durfte.

 

Nein, die Polen waren in Europa berühmt für ihre frühe Free-Jazz-Szene. Das ist übrigens großartig, dass die Platte jetzt einfach so mit einem Pianosolo von van Hove endet. Denn der hat sich oft beklagt, dass er gegen die Wucht von Brötzmann oder Bennink nicht ankäme, die haben ja lange nach »Machine Gun« noch als Trio weiter gearbeitet.

 

Das Klavier klingt hier sehr schäbig, wie ein 100-Mark-Kasten. Aber in jedem Fall ein essentielles Werk. Da wünschte man sich eine neuerliche Auf-führung.

 

Ich fände es toll, wenn eine ambitionierte Rockband sich des Stoffes annähme und das Album nachspielte.

 

Die Melvins?

 

Oder Kölner Indie-Wimps, die von dem Kram eigentlich keine Ahnung haben. Vielleicht die Pttrns? Das ist jetzt meine Bitte an die Szene. Aufführung dann im »Blue Shell«.