»Als Schüler muss man funktionieren«
StadtRevue: Die Studiengebühren sind wieder abgeschafft. Gibt es überhaupt noch einen Grund zu streiken?
Leonard Haas: Na, klar. Als Schüler muss man vor allem eines: funktionieren. Die persönliche Entwicklung, das Leben des Einzelnen bleiben außen vor. Unser grundlegendes Anliegen ist daher die Demokratisierung des Bildungssystems, die Ausrichtung der Schule an den Interessen der Schüler.
Was heißt das konkret?
Zuerst die Abschaffung von G8, also der Verkürzung der gymnasialen Oberstufe auf acht Jahre. Außerdem die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Mein Bruder ist zehn Jahre alt, kommt in die vierte Klasse und muss quasi jetzt entscheiden, was er einmal machen möchte. Denn der Prozentsatz derjenigen, die später von der Hauptschule auf eine weiterführende Schule wechseln, ist verschwindend gering.
Insofern ließe sich das Bildungssystem nur gemeinsam mit dem gesellschaftlichen verändern?
Rahmenbedingungen für die Bildung müssen auf gesellschaftlicher Ebene geschaffen werden. Oft wird, um den Reformen das Wort zu reden, der Vergleich mit anderen Ländern gesucht. Doch dort herrschen andere Bedingungen. Deutschland gibt immer noch sehr wenig des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus. Wenn man die Schulzeit verkürzt, muss man auch die Bedingungen dafür schaffen. Das aber sehe ich nicht. Für mich ist G?8 pures Auswendiglernen, purer Leistungsdruck, ohne Zeit für Diskussionen.
Neben der grundlegenden Kritik am Bildungssystem geht es euch auch um ganz alltägliche Verbesserungen...
Mittlerweile ist die Schule zum Lebensraum geworden. Klar, dass wir dort auch Verbesserungen wollen. Teilweise sind Schüler von acht bis vier Uhr in der Schule, haben dann zwar Mittagessen, für das aber gezahlt werden muss. Wer drei oder vier Kinder in der Schule hat, kann sich das nicht immer leisten. Das Mittagessen sollte kostenlos sein.
Auch in Chile und Spanien wird gegen Bildungsabbau demonstriert...
Ja, aber da geht es anders ab als in Deutschland! In Spanien haben sie Jugendarbeitslosigkeit von vierzig Prozent, in Chile wurde ein Schüler auf einer Demo erschossen. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten: Mit Blick auf die Bildungssysteme sehen wir, genau wie die Menschen in Spanien, Chile und anderswo, dringenden Handlungsbedarf.