Der Müllmann von Dottendorf
Dottendorf in Bonn. Beschaulich ist es hier, still, die Straßen sauber. Nirgends Müllreste auf dem Boden, geschweige denn, dass man hier einen Mülltaucher oder Umweltaktivisten zu Gesicht bekommen würde. Stattdessen: Mütter mit Kinderwägen, viel Grün, dörfliche Atmosphäre. So sieht sie aus, die neue Heimat des Journalisten und Autoren Stefan Kreutzberger, der bis vor kurzem noch in Deutz gelebt hat. Ruhe kann er dieser Tage gut gebrauchen, denn seit dem Überraschungserfolg des Films Taste The Waste ist der journalistische Alltag für ihn erstmal passé.
Sein gemeinsam mit Taste The Waste-Regisseur Valentin Thurn verfasster Buch-Bestseller Die Essensvernichter sorgt im Fahrwasser des Films für viel Trubel. Die Hälfte aller Lebensmittel produzieren wir für den Müll, so lautet die Grundthese des Buches. Warum wir aber Essbares wegwerfen, der Handel krumme Gurken oder unförmige Kartoffeln aussortiert und was die globalen Folgen davon sind – diesen Fragen sind Kreutzberger und Thurn nachgegangen. Der Welthunger wäre mit einer Änderung unseres Konsumverhaltens zu lösen, diese Auffassung vertreten die beiden in ihrem Buch.
Kreutzberger ist gefragt: Lesungen und Talkshows stehen an, und täglich wird er von Leuten angerufen oder angemailt, die ihre Mission als Essensretter antreten und endlich auch etwas tun wollen. Früher habe er auch Kampagnen organisiert, heute wehrt Kreutzberger solche Anfragen nach Möglichkeit erstmal ab. »Ich bin Journalist und das bleibe ich auch.«
Ursprünglich kommt der 50-Jährige aus der Erwachsenen- und Lehrerfortbildung, studiert hat er Politikwissenschaft in Marburg. Umweltpolitik und Ernährungsfragen haben während seines Studiums eine untergeordnete Rolle gespielt: »Das war eine ganz andere Zeit. Studenten- und Jugendbewegungen in den 70er Jahren und deren Verbindungen zur Hochschulpolitik, das hat mich damals interessiert«, sagt er.
Wieso hat er sich nun an ein so sensibles Thema wie Ernährung im globalen Kontext gewagt? Für ihn sei 1999 der Wendepunkt gewesen, erzählt Kreutzberger. Damals hat er als Journalist im Vorfeld der Expo 2000 mit Recherchen zu internationalen Projekten angefangen, und sich intensiver mit Nachhaltigkeit und Entwicklungsprojekten auseinandergesetzt. Kreutzberger arbeitete zu Fogcatcher-Projekten in den Anden oder zu österreichischen Agroforesting. Die Hungerproblematik sei stets ein großes Thema auf diesen Reisen gewesen. So sind Ernährungsfragen auf seine journalistische Agenda gerückt und erstmal geblieben.
Kreutzberger sagt, dass viele NGOs zu lange keine Verbindung zwischen Entwicklungspolitik und unserem Ernährungsverhalten gesehen hätten. »Das war deren blinder Fleck! Und es lag auf der Hand, die globale Hungerproblematik mit unserem eigenen Konsumverhalten endlich mal in einen Zusammenhang zu stellen.« Und genau das hat er mit seinem Buch getan. »Man hat uns anfangs belächelt, viele haben gesagt, dass wir uns da etwas zusammen konstruieren«, so schildert Kreutzberger den Beginn seiner Recherchen.
Regisseur Valentin Thurn kennt er von früheren Projekten, die sie bereits zusammen gemacht haben. Und Thurn wiederum beschäftigte sich schon seit längerem mit Mülltauchern, und war auf der Suche nach mehr Fakten zum Thema Lebensmittelverschwendung. Dass alles konstruiert sei, diese Einschätzung dürfte aktuell auch von kritischen Stimmen vorsichtiger geäußert werden. Und dem Vorwurf, an etlichen Stellen populärwissenschaftlich zu argumentieren, begegnet Kreutzberger gelassen. »Wir wollen ja gerade die Verbraucher erreichen und nicht nur für ein Fachpublikum schreiben. Wobei immer noch genug Fachinformationen drin sind, die schwer zu verdauen sind.«
Kreutzberger lacht, als er sagt, dass er selbst auch nur noch den Joghurt von ganz vorne aus dem Regal nimmt und regelrecht nach Ware mit kurzem Mindesthaltbarkeitsdatum sucht. Die Recherche für das Buch hat auch in seinem Privatleben einige Spuren hinterlassen, das wird deutlich. Er isst weniger Fleisch, macht Donnerstag seinen Veggieday und bezeichnet sich ironisch als Flexitarier. In seinen Augen hat sich bereits viel getan, wie etwa mit dem Buch Eating Animals von Jonathan Safran Foer: »Früher dachten die Leute noch an die Science-Fiction-Serie Wega aus den 60ern, wenn man von Veganern sprach. Das ist besser geworden.« Er lächelt, wird aber sofort ernst, wenn es um die Zukunft geht. »Das ist kein Hype, die Probleme liegen auf dem Tisch. Es muss sich etwas ändern.«
Stefan Kreutzberger/Valentin Thurn:
Die Essensvernichter. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 304 S., 16,99 €