»Wir sind nicht einfach die Schwulen-Kirche«
Klerikale Klänge hallen von der Kellerwand wider. Sie kommen von einem kleinen Ghettoblaster, der auf einem Klappstuhl steht. »Ihr Mächtigen, ich will nicht singen«, stimmt die freie Gemeinde der »Metropolitan Community Church« (MCC) in Köln an. Der Putz bröckelt stellenweise von der Wand des Gewölbes, trotzdem wirkt der Raum im Kölner Filmhaus an der Maybachstraße feierlich. Schwarz schimmernde Stoffbahnen sind um den Altar, der in einem früheren Leben mal ein Regal war, drapiert. An einer Seite hängt die Regenbogenfahne, internationales Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung.
Die MCC ist ein Zusammenschluss von freien Gemeinden, erstmals von einem schwulen Pfarrer Ende der 60er Jahre in den USA ins Leben gerufen. Sie forderte ursprünglich die Gleichberechtigung von homosexuellen Partnerschaften in Kirche und Gesellschaft. Heute sind dort viele Minderheiten, vor allem Intersexuelle und Transgender, versammelt. Deutschlandweit gibt es drei Gemeinden, in Hamburg, Stuttgart und Köln. Die Kölner MCC-Gemeinde entstand vor rund 15 Jahren, zurzeit kommen bis zu 40 Leute zum Gottesdienst.
Ein Blick in die Runde der Gemeinde zeigt, dass viele Mitglieder sich gegen die Rolle des »von Gott gegebenen« Geschlechts entschieden haben. »Bei uns sind Geschlechterrollen anders aufgeteilt. Sie sind diverser, unkonventioneller, reflektierter«, sagt Ines-Paul Baumann, Pfarrer der MCC. Auch er war mal eine Frau, sein weiblicher Vorname erinnert noch daran. Ordiniert, also von der MCC offiziell ins Amt gesegnet, ist der 42-Jährige noch nicht. Er befindet sich nach seinem Theologiestudium nun in der Praxisphase seiner Ausbildung.
In Deutschland werden die MCC-Gemeinden – anders als etwa in den USA oder Dänemark – von den anerkannten Kirchen nicht akzeptiert. »Darum geht es uns auch nicht. Ein evangelischer oder katholischer Pastor würde mich niemals seinen Job machen lassen, und ich würde das auch niemals wollen«, formuliert Baumann seinen Standpunkt. Im Weltkirchenrat, dem zentralen Organ der ökumenischen Bewegung, haben die drei deutschen MCC-Gemeinden immerhin Beobachterstatus: Sie dürfen bei Sitzungen anwesend sein, geben Workshops oder Seminare, Stimmrecht haben sie allerdings nicht. »Viele finden uns gut, aber es gibt Vereinzelte, die absolut gegen uns sind. Die sehen uns als Freaks«, erklärt Baumann.
Die ungleiche Behandlung begründen die in Deutschland anerkannten christlichen Kirchen mit der Bibel: »Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch«, steht im ersten Buch Mose. Immer wieder folgern Geistliche aller Konfessionen, dass alles andere »gottwidrig« oder gar »widernatürlich« sei. Auch bei der Evangelischen Kirche in Deutschland, die sich toleranter als die Katholische Kirche geben möchte, gab es Streit um den Entwurf des neuen Pfarrdienstgesetzes, das Ende 2012 in Kraft treten wird. Darin sollte bundesweit eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft bei Pfarrern und Pfarrerinnen gesetzlich erlaubt werden. Acht Altbischöfe argumentierten mit Bibelstellen dagegen, daraufhin wurden die Passagen im Gesetzentwurf geändert. Jetzt darf dies wieder jede Landeskirche selbst regeln.
Auch in Köln ist die Kirche anderen Lebensentwürfen gegenüber nur bedingt offen: 1994 segnete der Pfarrer der evangelischen Lutherkirche in der Kölner Südstadt, Hans Mörtter, erstmals in Köln ein Paar gleichen Geschlechts. Ihm drohte die Amtsenthebung, ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Fast zwanzig Jahre später ist eine Segnung zwar erlaubt, nicht jedoch eine Trauung. Ein nicht unerheblicher Unterschied: Bei der Segnung darf sich das Paar nicht das Ja-Wort geben.
Die Katholiken sind weitaus rückständiger: So werden etwa offen bekennende Homosexuelle, die bei katholischen Trägern im sozialen Bereich arbeiten, nicht akzeptiert, wie es in Köln kürzlich am Fall des Pädagogen David Berger zu sehen war. Das Kölner Erzbistum entzog ihm im Mai die Lehrgenehmigung für Religion. Begründet wird die strenge Sittlichkeit auch hier mit der Bibel.
»Die Bibel wurde benutzt, um Sklaverei zu rechtfertigen und die Unterdrückung von Frauen. Als sich das in unserer Geschichte geändert hat, gab es auch eine andere Lesart der Bibel«, sagt MCC-Pfarrer Baumann. Eine Entwicklung, die er auch für seine Gemeinde erhofft. »Es wird Zeit, dass sich die Einstellung zu Homosexualität und Transgendern insgesamt ändert!« Bis dahin bräuchten diese Minderheiten, so Baumann, einen Schutzraum, den die MCC-Mitglieder in ihrer Gemeinde finden sollen.
Allein optisch zeigen die Schuhe der vorderen Gottesdienst-Sitzreihe die Vielfalt der Mitglieder: Flip-Flops neben Turnschuhen und hochglanzpolierten Braunlederhalbschuhen. Baumann trägt schwarze Springerstiefel mit Nietenband und weiß um die unterschiedlichen Bedürfnisse seiner Gläubigen: »Die sind heterosexuell oder homosexuell. Die leben allein, zu zweit, zu dritt, sind reich, arm, jung oder alt.« Ihm fallen weitere Unterscheide ein, aber er beendet die Aufzählung und sagt lächelnd: »Es gibt nicht den typischen MCC-Christen, und wir sind nicht einfach die Schwulen-Kirche.« Lange habe sich die MCC als Auffangbecken für Leute gesehen, die in anderen Kirchen nicht aufgenommen wurden, erzählt Baumann. »Davon sind wir mittlerweile weg, denn uns zeichnet viel aus. Wir kennen keine Hierarchien, wir haben politisch-gesellschaftliche Visionen, bei uns wird viel gesprochen, wild diskutiert und wir haben sehr viele unterschiedliche Auffassungen, was Christsein heißt.«
Gegen Ende des Gottesdienstes wird das Abendmahl gereicht, zu dem alle eingeladen sind – anders als in den anerkannten christlichen Kirchen. »Das ist ein guter Grund, warum ich bei der MCC Pfarrer bin. Wir fragen nicht nach Mitgliedschaft oder Lebensbeichte. Uns ist egal, wie du aussiehst, wie du lebst, was du unter der Woche gemacht hast. Unser Abendmahl ist bedingungslos für alle«, formuliert Baumann das Selbstverständnis der MCC.
Schwarz gewordene Kaugummiflecken auf dem Betonboden des Kölner Filmhauses sind Relikte aus der Zeit, in der im Kellergewölbe, dem sogenannten »Haifischbecken«, noch wilde Queer-Partys gefeiert wurden. Diese Überbleibsel wecken zwar schöne Erinnerungen, doch Baumann sieht darin auch einen Nachteil: »Wir müssen für jeden Gottesdienst eine Stunde auf- und abbauen, obwohl wir zu zweit sind. Die Gemeinde sucht nach einem neuen Ort.« Sein Job als Pastor ist eine Herzensangelegenheit, denn die MCC hat nicht genug Geld, um ihm Gehalt zu zahlen: »Ich weiß auch nicht, ob ich das wollte. Gemeinde heißt, das wir etwas zusammen machen, mit möglichst vielen Leuten den Gottesdienst gestalten und auf gleicher Ebene sind«, sagt er, während er mit den Küstern die Stühle im Haifischbecken zusammenklappt.
Als sich nach dem Gottesdienst alle bei Kaffee, Cola und Keksen unterhalten, erzählt Baumann, dass er von seinen Eltern nicht getauft oder religiös erzogen wurde. Aber bereits als Jugendlicher sei er gläubig gewesen. Das habe ihm in vielen Phasen des Lebens geholfen, auch bei seiner persönlichen Selbstfindung: »Ich glaube, es war leichter mit meinem verwurzelten Glauben an Gott, der tiefer war als kulturelle und biologische Gegebenheiten«, erzählt der 42-Jährige, der hauptberuflich Websites programmiert. Auch privat hat Baumann kein klassisches Familienverständnis: Er lebt gemeinsam mit seinen zwei Kindern und seiner Freundin zusammen, der leibliche Vater wohnt um die Ecke. »Wir sind zu zweit ein Paar und zu dritt Eltern.«