Dänische Delikatessen
Dänemark hat mit fünfeinhalb Millionen weniger Einwohner als Hessen, kann aber auf eine schier unglaublich reichhaltige Musikszene verweisen. Woran das liegen mag? Einerseits natürlich an der individuellen Qualität der Musiker und an dem Zuspruch, den sie landesintern erfahren. Denn wie in allen skandinavischen Ländern, existiert auch in Dänemark eine hohe Affinität zu anglo-amerikanischer Popkultur. Englisch ist im Alltag selbstverständlich und wird wohl von den wenigsten als echte Fremdsprache empfunden. Natürlich gibt es einen eigenen skandinavischen Kulturraum, die Grenzen zu Großbritannien oder den USA sind aber sehr durchlässig – und zwar von beiden Seiten. Seit Abba finden immer wieder skandinavische Acts den Weg in den internationalen Popkanon, ohne dabei – wie Rammstein oder Kraftwerk – exotische nationale Klischees bedienen zu müssen.
Gerade im Vergleich mit Schweden und Norwegen holt Dänemark zügig auf in Sachen Pop. Womit wir beim zweiten Teil der Herleitung des dänischen Pop-Wunders wären: Ein eigens dafür eingerichtetes Export-Büro (ROSA) sorgt tat- und finanzkräftig dafür, das der Rest der Welt mitbekommt, was in Dänemark alles so geht. Ein wichtiger Baustein: das alljährlich in Aarhus stattfindende Spot-Festival. Zwei Tage lang präsentieren sich in der beschaulichen, mit Freiburg oder Münster vergleichbaren zweitgrößten Stadt des Landes unzählige Bands und Solo-Acts auf den Bühnen in und rund um das gigantisch ausgestattete Musikhuset. Unter den Zuschauern tummeln sich nicht nur hiesige Indie-Kids, sondern auch Heerscha-ren eingeflogener Medienvertreter aus ganz Europa, die die frohe Kunde über den neuen Dänen-Pop hinterher in ihren Heimatstädten verbreiten sollen. Das machen sie gerne, denn das Festival ist perfekt organisiert, die musikalische Qualität überzeugend und die Atmosphäre entspannt.
Beim Spot-Festival wähnt man sich als Teil eines fantastisch aussehenden, geschmacksicheren Publikums in einer heilen Indie-Welt, ohne die sonst üblichen Trunkenbolde, Kotzlachen und schlechten lokalen Vorbands. Dabei gibt es hier, abgesehen von ein paar Gästen aus Schweden, Norwegen und Finnland, beinahe ausschließlich Lokalbands zu sehen. Manche von ihnen sind noch so unbekannt, dass die Zahl der Myspace-Klicks nicht einmal im fünfstelligen Bereich liegt – und dennoch gibt es kaum Ausfälle. Das Niveau, auf dem hier selbst die studentische Indie-Folk-Kapelle von nebenan musiziert, ist so hoch, dass man geneigt ist, Streberhaftigkeit zu unterstellen. Weil das ja alles nicht mit rechten Dingen zugehen kann.
Doch bei der reinen Band-Begutachtung soll es nicht bleiben, schließlich wollen die Dänen hinaus in die Welt. In fünf europäischen Städten gibt es inzwischen kleine Spot-Ableger, für die jeweils drei dänische Acts nach Montreux, Hamburg, Wien, Brüssel und neuerdings auch nach Köln geladen werden. Die Auswahl trifft eine Städte-Delegation auf dem Spot-Festival. Für Köln handelte es diesmal um Vertreter von Intro, c/o pop, Stadtgarten, Kölncampus und StadtRevue, die sich am 27. und 28 Mai in Aarhus auf die Suche machten. Die große Überraschung: Trotz der riesigen Auswahl von mehr als hundert Acts fiel die Wahl nahezu einstimmig auf die selben drei Kandidaten. Und so lautet das Line-up für den ersten Kölner Spot-on-Denmark-Abend am 14. Dezember im Stadtgarten: Treefight For Sunlight, Vinnie Who und Rangleklods.
Star in der Manege ist Vinnie Who, der es in Dänemark zu Charterfolgen und einer erstaunlichen Prominenz gebracht hat. Der 23-Jährige gibt dank seines queeren Images und der ungelenk-schlaksigen Physiognomie eine schillernde Figur ab. Hinzu kommt der helle Gesang, den man – wüsste man es nicht besser – eher einer Frau zuordnen würde. Als Frontmann seiner bemerkenswert groovenden, extrem gut eingespielten Band gibt Vinnie den Disco-Crooner und sorgt beim tanzenden Publikum (versprochen!) für Wellen der Euphorie. Noch eher um einen Geheimtipp handelt es sich bei Treefight For Sunlight, die vom britischen Guardian allerdings schon begeistert als »prog-rock version of sunshine-pop« bezeichnet wurden. Die vier Jungs aus Kopenhagen singen dreistimmig und zwingen mit ihrem ebenso vertrackten wie harmonieseligen Gute-Laune-Folk-Pop (ähnlich MGMT und Grizzly Bear) auch dem mürrischsten Konzertgänger ein Lächeln aufs Gesicht.
Den Abend wird Rangleklods a.k.a. Esben Andersen beschließen, der Anfang 2010 von Aarhus nach Berlin umgezogen ist. Der smarte Däne beweist, dass man auch als Sänger mit Laptop eine äußerst vitale Performance abliefern kann. Rangleklods kombiniert pumpende Rave-Beats mit elektronischen Frickeleien, die er live mit selbst entwickelten Controllern steuert, und melancholischem Songwriting. Die transparenten Arrangements lassen dabei immer noch genügend Platz für seine sonore Stimme. Diese drei dänischen Leckerbissen sollte man sich nicht entgehen lassen.