Was ist der Mensch?

Kasper Königs letzte programmatische Ausstellung im Museum Ludwig versucht eine Diagnose der Gegenwart. Ein Gespräch

mit Kasper König und Co-Kurator Thomas D.?Trummer

Sechs Wochen vor Eröffnung. In Kasper Königs Büro stapelt sich Material, Texte werden redigiert, Künstler diskutiert, Entscheidungen getroffen oder verworfen, wenn eine neue Idee die bessere ist. Am 16. Dezember wird »Vor dem Gesetz« eröffnet, benannt nach Kafkas gleichnamiger Türsteherparabel, jene Ausstellung, die an die Reihe von Kasper Königs großen programmatischen Projekten anschließen soll – »Westkunst« 1981, »von hier aus« 1984, »Der zerbrochene Spiegel« 1993. Das Konzept hat König gemeinsam mit dem 1967 geborenen freien Kurator Thomas D. Trummer entwickelt: Skulpturen der unmittelbaren Nachkriegszeit, entstanden nach den Grauen des zweiten Weltkrieges, treten in Dialog mit zeitgenössischen Installationen. Das Interview beginnt im Direktorenbüro und endet in einem leeren Nebenraum, wo an zwei Wänden Farbkopien an die Wand gepinnt sind: links figurative Bronze- und Holzskulpturen von Giacometti, Lehmbruck, Marino Marini, Ossip Zadkine oder Germaine Richier, gegenüber Installationen von Bruce Nauman, Zoe Leonhard, Paul Chan, Karla Black und weiteren Zeitgenossen.

 

StadtRevue: Herr König, Sie setzen schon mit dem Ort eine Hausregel außer Kraft: Erstmals werden die gesamten Sammlungsräume der zweiten Etage für eine Ausstellung leergeräumt. Brauchen Sie einfach viel Platz oder steckt mehr dahinter?

 

Kasper König: Uns war von vornherein klar, dass diese Ausstellung einer sehr deutlichen inszenatorischen Präsenz bedarf, einer Zäsur. Aus den verschiedenen praktischen, aber auch theoretischen Überlegungen ergab sich, dass diese Räume viel angemessener sind als der Sonderausstellungsbereich. Die Statuen der Nachkriegszeit, die natürlich für den öffentlichen Raum geschaffen waren und sehr pathetisch wirken, aber doch klein und ärmlich und in gewisser Weise auch erbärmlich, wie die Zeit eben war, bedürfen  eines sehr würdigen Rahmens. In den hehren Hallen mit dem wunderbaren Oberlicht brauchten wir keine Architektur zu erfinden, sie war gegeben.

 

Was war die Ausgangsidee dieser Ausstellung, eher das inhaltliche Thema oder bestimmte Künstler?

 

König: Eigentlich kam sie aus dem Unbehagen an dem eigenen Betrieb. Der Kunstbetrieb ist wirklich ein Betrieb geworden. Es konzentriert sich alles auf das ein- oder ausgeschlossen sein, drin oder draußen, das ist schon ein schief gewickelter Liberalismus. Darüber habe ich mit Thomas Trummer gesprochen und wir haben zusammen überlegt: Was sind die wichtigsten Fragen? Da kreist die Ausstellung dann doch um den Menschen, um existenzielle Fragen.

 

Thomas Trummer, welches Interesse haben Sie eingebracht?

 

Thomas D. Trummer: Ich teile auf jeden Fall und vollkommen das Unbehagen, ein Unbehagen insgesamt. Uns geht es um eine Diagnostik der Gegenwart, eine Bestimmung dessen, was die Menschen und die Kunst  heute bewegt. Mensch, Existenz, Humanität, die Frage des Rechts – das sind ja sehr tiefe Fragen. Wo beginnt die Würde, die Rechte des Menschen, wo werden sie verletzt, wie werden sie geschützt? 

 

Ihr historischer Bezugspunkt sind die politischen Neuordnungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie mündeten etwa in Artikel 1 des Grundgesetzes, »Die Würde des Menschen ist unantastbar«...

 

König: ... und die Vereinten Nationen! Sie waren ja auch ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs. Wir haben uns aber zuerst intensiv damit beschäftigt, was heute in der zeitgenössischen Kunst produziert und wahrgenommen wird, und haben es dann dialektisch-historisch zu einer Dramaturgie gebündelt. Es hat doch immer wieder Künstler gegeben und gibt sie heute, die sehr wohl diese Verletzung, die permanent passieren, thematisieren. Man kann es gar nicht begreifen, was Menschen anderen Menschen antun können. Das hört ja nicht auf.

 

Aber die Haltung der Künstler ändert sich – damals sehr ernsthaft, pathetisch, völlig humor- und ironiefrei. Was zeigt sich da im Vergleich?

 

Trummer: Das Wort Haltung finde ich sehr gut. Weil wir ja bei diesen Skulpturen auch von Körperhaltung sprechen können. Die Darstellungen der 40er und 50er Jahre zeigen gebrochene Körper, die Verletzlichkeit, die Ungeborgenheit. Ihre bildnerischen Mittel sind begrenzt, die Materialien – Holz und Bronze vor allem – traditionell. Trotzdem haben sie eine große Präsenz. Nehmen Sie Richier, Zadkine, Marini. Sie stoßen vor den Kopf. Wirkungsvolle aktuelle Werke tun das auch. Der zusammengeschraubte Baum von Zoe Leonhard, oder Bruce Nauman, wo wir die Ausreizung des Erträglichen finden. Er zeigt Tierkörper, die an einem Karussell über den Boden geschleift, wirklich gemartert werden. Diese Kunst ist ein Schlag ins Gesicht, wie Nauman mal sagte, der einen kalt erwischt.

 

König: Die Nachkriegsskulpturen sind eine Zäsur der Moderne, einige mutierten später ja auch zu einem richtigen Kitsch, ein Gesinnungskitsch, den wir in unserer Ausstellung vermeiden. Thomas Schütte, dessen »Vater Staat« wir zeigen, ist ein Künstler, der heute daran arbeitet, wie man dieses Formenvokabular aufgreifen und erneuern, mit Energie aufladen kann. Die heutigen Künstler sind viel rücksichtloser in ihrer Produktion, nehmen sich viel mehr Freiheiten. 

 

Wie kommt Kafka ins Spiele? In dessen Parabel »Vor dem Gesetz« begehrt ein Mann Einlass in das von einem Türsteher bewachte Gesetz, aber er wartet vergebens.

 

Trummer: Es ist für uns ein Bild, eine Metapher. Entscheidend ist, dass das Gesetz als Vorstellung hier keine Schrift ist, nichts in Stein gemeißeltes, sondern ein Raum. Es gibt eine Grenze, ein drinnen und draußen, wobei man gar nicht genau weiß, wer eigentlich ausgeschlossen ist und wer eingeschlossen. Das hat uns geholfen, das in skulpturales Denken zu übersetzen.