Jean Jülich, 1929-2011, Foto: Manfred Wegener

Danke, Schang!

Nachruf auf den Edelweißpiraten Jean Jülich

Als Jean Jülich am 19. Oktober im Alter von 82 Jahren die Augen für immer schloss, verlor Köln nicht weniger als einen Edelweißpiraten, Ex-Büdchenbesitzer, Gastronom, Antifaschisten, Musikanten, Karnevalisten und politischen Chronisten. Im Gedächtnis der Stadt wird er weiterleben, der Schang (so sein Tarn- und Spitzname), ein kölsches Original moderner Prägung, dessen Vita sich liest wie das Drehbuch zur Befreiung der kölschen Seele von Faschismus und Nachkriegstrauma.

 

Es ist wohl acht Jahre her, dass mir Andreas Schilling »Es war in Schanghai« vorspielte, ein altes Edelweißpiratenlied, das er just mit Jean Jülich aufgenommen hatte. Ich war schwer beeindruckt: ein freches, jugendliches Fahrtenlied, gesungen von der leisen, leicht brüchigen Stimme eines alten Mannes zu sparsamen Gitarrenklängen. Ich musste sofort an Johnny Cashs American Recordings denken und daran, dass der wahre Schatz der Edelweißpiraten wohl noch auf seine Entdeckung wartete.

 

So traf es sich gut, dass mich das NS-Dokumentationszentrum beauftragt hatte, ein Jugendmusikprojekt zur »Unangepassten Jugend der NS-Zeit« mitzuentwickeln. Die Arbeit mit Zeitzeugen, wie Jean Jülich oder Mucki Koch, und jungen Musikern erwies sich dabei als so fruchtbar, dass Dutzende Konzerte, Vorträge, Wanderungen, ein regelmäßiges Edelweißpiratenfestival und das Buch »Gefährliche Lieder« folgten. Schangs großes Verdienst war, dass er nicht nur über eine filmreife, exemplarische Lebensgeschichte verfügte, sondern diese auch detailreich und fesselnd vermitteln konnte, von ihren grausamen Tiefen bis hin zu ihren witzigen oder anrührenden Höhepunkten. Und dass er bis zuletzt mit Gitarre und Gesang glänzen konnte.

 

Er, der als junger Mensch unter den Nazis soviel Hass und Ungerechtigkeit erdulden musste, kämpfte sein Leben lang für eine gerechtes, friedliches, ja herzliches Miteinander. In welchem Maße ihm das gelungen ist, konnte man auf seiner Beerdigung sehen. Pfarrer Johannes Quirl von der Severinskirche zeigte auf einen Jüngling, der neben Brauchtums-Stars, Lokalpolitikern, Historikern, Pfadfindern und Handwerker in langer Schlange anstand, um Jean Jülich auf dem Südfriedhof Lebwohl zu sagen: »Das ist ein Antifa-Jugendlicher, der war vorhin sogar in der Andacht! ›Für den Schang muss man einfach beten‹, hat er mir gesagt.«

 

Neben dem Grab haben sich junge Standartenträger der Karnevalsgesellschaften postiert, die Jean gefördert hat, vorneweg die Fahne der Tanzgruppe »De Höppemötzjer«. Ja, so war der Schang: Spaß und Ernst, Karneval und politischer Kampf gehörten zusammen!