Das Buch der tausend Unikate

Das Sammlerpaar Missmahl hat seine Künstlerbücher Kolumba vermacht, wo sie derzeit in der Ausstellung »denken« zu sehen sind. Ein Treffen mit Steffen Missmahl

Eine eindrucksvolle Erscheinung, dieser meist Kappe tragende Typ, von Hause aus Werbegrafiker, aber inzwischen fast nur noch als Buchgestalter tätig. Weil das erstens immer seiner Wunschvorstellung entsprach und weil zweitens »in der Branche Jugendwahn herrscht«. Da lacht der Sechzigjährige laut. Einnehmend, neugierig und temperamentvoll wirkt Steffen Missmahl und bezeichnet sich als »absoluten Buch-Maniac«. Knapp 1000 Künstlerbücher haben er und seine Frau Edith vor kurzem dem Museum Kolumba geschenkt. Und es sei leider nicht so, dass sich die Regale in der Wohnung entscheidend geleert hätten ...

 

Die beiden Sammler seien froh, erzählt Missmahl, dass ihre Sammlung jetzt einen Ort und mit Kolumba den bestmöglichen Ort gefunden habe. Über die Verantwortung, die Sammler für ihre Schätze tragen, haben sich die beiden seit einigen Jahren den Kopf zerbrochen. »Ist es richtig, dass die Sammlung nur für uns da ist?« Die beiden erwachsenen Söhne wollten sie »nicht mit dem Erbe bestrafen«. Zwar hätten sie die Leidenschaft der Eltern eine zeitlang verfolgt, aber eben nicht mehr. »Mich hätte es geärgert, wenn unsere Sammlung zerrissen worden wäre und wenn das, was an Haltung zusammengekommen ist, nicht mehr existiert.«

 

Erste Kontakte zu Kolumba entstanden 2005, als das gesamte Kuratorenteam eine Ausstellung ihrer Künstlerbücher in Bochum besuchte. Viele Stunden waren sie dort. Diese intensive Auseinandersetzung hat Missmahl damals mächtig beeindruckt. Nach weiteren Gesprächen wusste er, dass das Museum ein wirkliches Interesse an der gesamten Kollektion und nicht nur an einigen Filetstückchen hat. 

 

Missmahl hat sich darin nicht getäuscht. Über ein dreiviertel Jahr haben die Kuratoren gemeinsam mit dem Sammler die Ausstellung und die begleitende Publikation »denken« erarbeitet. Stefan Kraus, der Museumdirektor, hat dazu sämtliche Fotos gemacht, während Steffen Missmahl – wie sollte es anders sein – die Gestaltung übernahm. Das Ergebnis dieser fruchtbaren Zusammenarbeit ist ein wirklich bemerkenswerts Produkt: eine Dokumentation über die Sammlung Missmahl, ergänzt um Textpassagen, in denen es um das Wesen des Künstlerbuches und die Tätigkeit des Sammelns geht. Das Ganze ausgestattet mit allen haptischen und visuellen Merkmalen eines hochwertigen Buches. Und anders als die Exponate in der Ausstellung hat es den großen Vorteil, dass man es – im Gegensatz zu den Originalen – anfassen, anschauen und lesen darf. 

 

Damit ist ein Manko am Konzept »Künstlerbuch im Mu-seum« angesprochen: Betrachten erwünscht, Blättern verboten. Was aus konservatorischer Sicht unvermeidlich ist, muss sich als Beschneidung erweisen. Es kann nur ein bestmöglicher Kompromiss sein. So schlägt Missmahl in den Büchern in der großen, nach seinen Plänen gebauten Vitrine von Zeit zu Zeit neue Seiten auf. Den verborgenen Buchinhalt muss die Phantasie ergänzen. Der Sammler hat sich viele Gedanken zum Medium Künstlerbuch gemacht. Vor allen Dingen sei es ein »autarkes Kunstwerk, das eine Idee enthält, die nur in diesem Buch existiert. Wir wollten mit den Künstlerbüchern auch ein Statement für diese Form von Kunst abgeben.« 

 

Die Sammlung selbst weist große Namen auf – u. a. Carl André, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Daniel Buren, John Cage, Martin Kippenberger, Richard Long, Lawrence Weiner – aber auch leisere Töne von Zeitgenossen, deren Werke man vielleicht erst in Kolumba näher kennengelernt hat, Krimhild Becker, Lutz Fritsch oder Peter Tollens. In der Eröffnungspräsentation herausgestellt, weil außerhalb der Vitrine, ist Martin Gostners Arbeit »Im 20. Jahrhundert«. Eine Glühbirne flackert auf einem Bücherstapel, dessen Buchrücken auf wichtige Künstler der 80er und 90er Jahre weisen – Konzepte, die Gostner so andächtig wie ironisch hervorhebt. Man kann das Werk wie eine Klammer betrachten, denn es verbildlicht den konzeptuellen Ansatz, der allen Werken der Sammlung innewohnt.

 

Dass die Schenkung im Lesezimmer des eleganten Zumthor-Gebäudes präsentiert würde, stand außer Frage. Gleichzeitig war klar, dass der Raum für die Fülle nicht ausreichen würde. Aus diesem Grund setzt sich die Vitrine im Nebenraum fort: »Ich musste die Wand durchdringen, das Lesezimmer sprengen, was mir großes Vergnügen bereitete und den Architekten wohl nicht so gefreut hat«, so Missmahl augenzwinkernd. Der förmliche Wand-Durchbruch erweist sich als geglückter Coup, der sich respektvoll und selbstbewusst Zumthors Architektur entgegen setzt.

 

Ursprünglich war vorgesehen, für das »Museum der Nachdenklichkeit« keinen Eintritt zu erheben. Schade, dass die Erzdiözese sich am Ende anders entschied. Sonst würde man vielleicht öfter mal kurz in Kolumba vorbeischauen, um herauszufinden, ob in den Künstlerbüchern im zweiten Stock – und in den anderen Kunstwerken der Ausstellung – neue Seiten aufgeschlagen sind.