Die Überschriften ändern sich, die Köpfe bleiben dieselben: Die Türen

Gegen die nackte Funktion

Die Türen kritisieren mit Luxuspop den Politikbetrieb

»Sei nicht traurig / Das letzte Hemd hat keine Taschen / Sei nicht traurig / Da ist immer noch genug Pfand auf den Flaschen«, sang Maurice Summen, die späte deutsche Antwort auf James Brown, zu Uuuh-Uuh-Uuh-Chören und funky Bläsersätzen. Das war vor fünf Jahren. Und es war insofern neu und ungewohnt, als die rotierende Discokugel und der in ihr symbolisierte Hedonismus mit Ironie und Gesellschaftskritik eine Symbiose eingingen. Pop mit deutschen Texten war ausnahmsweise einmal nicht entweder schwerfällig oder brummdumm. Die Türen repolitisierten anscheinend mit leichter Hand den deutschsprachigen Pop, ohne sich dabei belehrend, eitel, wichtigtuerisch, deutschnational, humorlos und verkrampft zu gebärden. Kein geringes Verdienst in diesen Zeiten, in denen Pop ein Geschäft ist, das betrieben wird wie eine gigantische Wurstfabrik.

 

Auf ihrem neuen, vierten Album »ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ« wird noch einmal deutlich, dass in der Zwischenzeit nur das politische Personal gewechselt hat, die Misere jedoch dieselbe geblieben ist: »Wir sitzen alle in demselben / Schwarz-gelben Unterseeboot / Untergehnot / Unterseeboot«. Zwischen an die Neue Deutsche Welle erinnernde Reime packt Summen hie und da anrührende Arbeitslosenlyrik, die die Alltagsödnis der Marginalisierten illustriert: »ALG II, RTL 2, Aufstehen um Zwei / Und nicht einen Menschen zum Reden.«

 

Die 68er-Bürgereltern reden sich den Verrat ihrer Ideale schön

 

»Rentner und Studenten« heißt der elfminütige Opener der Platte. Darin schildert Summen die Tristesse des Daseins einer fortwährend an ihrer eigenen Verblödung arbeitenden Studentengeneration, deren Alltag sich in keiner Weise von den stumpfen Ritualen der Sparkassenbürger­eltern unterscheidet: »Montags ins Kino / Dienstags zum Yoga / Mittwochs zum Hautarzt / Und donnerstags was trinken / Freitags ist Fußball / Samstags Wetten, dass…? / Sonntags ist Ruhetag / Sonntags ist Tatort // Keine Ahnung von Nichts / Aber davon jede Menge / Das Gegenteil von Gut / Ist Gut gelaunt.«

 

Während die 68er-Bürgereltern – in einem anderen Song – sich in nostalgischer Verklärung den Verrat ihrer Ideale schönreden: »Ideale / Die wie Pokale / In der gläsernen Wohnzimmervitrine stehen / Um sie sonn- und feiertags / Bei einem guten Glas Rotwein / Mit feuchten Augen anzusehen / Seht her, Kinder / Ich war ein richtig wilder Revolutionär / Man könnt’ es besser sehen / Wenn nur der feingewirkte Zwirn nicht wär’«. Die Begleitmusik dazu entfaltet sich irritierenderweise in Form eines mit Chören, Handclapping und allerlei Pomp angereicherten Keyboard-Poprock, der mit seiner Überdrehtheit, seinem Hang zur ganz großspurigen Glamour-Pop-Geste und seiner Überdosis Electric Light Orchestra gleichsam wie aus der Zeit gefallen erscheint.

 

Schaumbad-Saxofonsoli und 70er-Jahre-Tanztee-Piano

 

Die Berliner erweisen sich mit ihrem neuen Werk abermals als große Pop-Experten, die zweifelsohne während ihrer Adoleszenz in der münsterländischen Provinz aus spätabendlichen Radiosendungen oder weißgottwoher alles aufgesogen zu haben scheinen, was Glamour, Groove oder pophistorische Relevanz für sich beanspruchen kann: David Bowie und Style Council, Dexy’s Midnight Runners und Motown Soul, Disco und New Wave. Geschmacksbildung muss in der Jugend der Türen eine wichtige Rolle gespielt haben. Insofern setzt die Band den von ihr eingeschlagenen Weg munter fort: eine überschwängliche Lust am Zitat und daran, ihren von allerlei Soul- und Funk-Einflüssen gekennzeichneten Eklektizismus-Pop aus den unterschiedlichsten Quellen zu speisen.

 

Bereits auf ihrem 2007 erschienenen Album »Popo« haben Die Türen eine musikalische Substanz zusammengemischt, die in ihrer charmanten Antiquiertheit wirkte, als wolle man Manfred Sexauers ARD-»Musikladen« und Ilja Richters »Disco« wiederaufleben lassen: schmissiger Boogie-Rock, Phillysound, Disco-Fox, inklusive Schaumbad-Saxofonsoli und 70er-Jahre-Tanztee-Piano. Eine teils krude und dennoch funktionierende Mixtur aus Status-Quo-Zwei-Akkorde-Rock und John-Travolta-Hüftenwackel-Sound. Kann sich eigentlich noch irgendwer an die Rubettes, Harpo oder Sailor erinnern? Die Türen offenbar schon.

 

Der Mensch als Arbeitskraftbehälter und Konsument

 

Wenn da nur die Texte nicht gewesen wären, die offenbar weder mit dem neudeutschen, humorfreien Besinnlichkeitskitsch von Bands wie Wir Sind Helden noch mit den zumeist stumpfsinnig-reaktionären Deutsch-Rap-Reimereien verwechselt werden wollten, sondern den von jeglichen Illusionen bereinigten Alltag des zum neuen akademischen Proletariat mutierten Prekariats thematisierten: »Wenn der Sport der Bruder der Arbeit ist, dann ist die Kunst die Cousine der Arbeitslosigkeit«, hieß es da etwa. Oder, weniger aphoristisch, dafür aber nicht weniger wahr: »Pause machen geht nicht / Pause machen ist nicht erlaubt / Sonst bist du arbeitslos und pleite«. Und: »Die Welt ist schlecht / Allein von Arbeit kann man nicht leben«.

 

Auch das dazugehörige Artwork erschien seinerzeit, 2007, wie ein Kommentar zur neuen Armut: die CD, die aussah wie eine Scheibe Bierschinken, steckte in einem Cover, das das Design einer ALDI-Plastiktüte zitierte. Die Tracklist war nach Art eines Kassenzettels gestaltet. Ein Hinweis auf die allgegenwärtige Armut sowie Bekenntnis zur eigenen: Wir selbst sind das Prekariat, von dem alle reden. Was vom Menschen in diesen Zeiten übrigbleibt, ist seine nackte Funktion: Arbeitskraftbehälter und Konsument. »Ich wünsch mir einen Wollpullover / Weil mir auf Erden immer kalt / Vor Kälte ist«, heißt es auf dem neuen Album. Sha-La-La-La.