Nur einen Millimeter gleicher
Andreas Hupke sitzt hinter Gittern. Der triste Zweckbau, in dem er als Bezirksbürgermeister arbeitet, ist derzeit von den Stangen der Baugerüste eingefasst. Auch der Eingang am Laurenzplatz ist unwirtlich. Ein Zettel klebt auf der Glasscheibe: »Tür klemmt, bitte fest ziehen.« Dahinter Aluminium-Container und eine Sammelbox für alte Batterien. All das schonungslos angestrahlt vom grellen, kalten Licht der Leuchtstoffröhren.
Der Grünen-Politiker hat sein Büro im fünften Stock. Er trägt Stoffhose, Jackett, Hemd, keine Krawatte. Alles in Schwarz, aber nicht aus der gleichen Kollektion. Hupkes Stil ist das Lässige, Unverstellte. In ein paar Tagen feiert er seinen 62. Geburtstag, aber er wirkt jünger. Das halblange, teils ergraute Haar wippt über seinen Schultern, als er die Hand zur Begrüßung ausstreckt. Hupke beginnt gleich zu erzählen: über Migration und Obdachlosigkeit, über eine karitative Versteigerung, und zwischendurch fragt er, ob der Kaffee eigentlich schmeckt. Doch bevor man höflich lügen kann, ist er schon beim nächsten Thema. Schon bald kann man sich Hupke nur noch redend vorstellen.
Der Politiker Hupke spricht wie der Privatmann Hupke: einfach, ehrlich, viel
Man hört gern zu, denn Hupke benutzt keine Politiker-Floskeln, kein »die Menschen mitnehmen«, kein »Zukunft gestalten«, kein »wir sind gut aufgestellt«. Man ist geneigt, zu glauben, dass der Politiker Hupke wie der Privatmann Hupke spricht: einfach, ehrlich, viel. Auf dem Tisch liegt ein Aufnahmegerät, es ist nicht eingeschaltet, aber Hupke interessiert das gar nicht, er will auch keine Zitate autorisieren. Hupke traut einem, und so traut man Hupke. Die Bezirksvertretung hat ihn ohne Gegenstimme gewählt, darunter auch die politischen Gegner.
»Wenn ich eines kann, dann Menschen zusammenbringen«, sagt Hupke. War das jetzt doch die erste Politiker-Floskel? Nein, denn wer Hupke auf Veranstaltungen erlebt, ganz gleich, ob beim Diskussionsabend einer Bürgerinitiative oder beim Empfang der Industrie- und Handelskammer, merkt, wie Hupke jedem lässig zuwinkt, den er kennt. Auch als erster, wenn der andere nicht so wichtig ist, wie er. Hupke sagt, in seinem Amt fühle er sich als Gleicher unter Gleichen, »bloß einen Millimeter gleicher«.
Molkerei-Fachmann, Jura-Student, Bootskapitän, Kulissenschieber
1973 ist er von einem Kaff in der Nordeifel nach Köln gezogen, um das Abitur nachzumachen. Zuvor hatte er eine Ausbildung zum Molkerei-Fachmann abgeschlossen. Als Post-68er hat er sich dann Initiativen gegen die geplante Kölner Stadtautobahn und für die Stollwerck-Besetzung angeschlossen. Schließlich landete er bei den Grünen. Sein Jurastudium habe er »bewusst nicht finalisiert«. Statt Staatsexamen folgte eine »Findungsphase«. Hupke tuckerte mit seinem Boot über Rhein, Mosel und Maas, und lag sogar in Paris vor Anker. Wieder in Köln landet er mehr zufällig als Kulissenschieber bei den Bühnen der Stadt. Heute ist er dort Arbeitnehmervertreter, hat eine 38,5-Stundenwoche.
Seit fast vierzig Jahre wohnt Hupke schon in der Innenstadt, seit sechs Jahren ist er Bezirksbürgermeister. Dieser Bezirk, zu dem auch Deutz gehört, sei etwas Besonderes, findet Hupke. Anders als in Porz, Rodenkirchen oder Lindenthal, sagt Hupke, beträfen die wichtigen Beschlüsse des Rates eben meistens das Stadtzentrum – ohne dass er oder die Bezirksvertretung darauf Einfluss nehmen könnte, denn der Rat kann jeden Beschluss der Bezirksvertretung wieder aufheben. Die Entscheidungen zur Archäologischen Zone und zum Jüdischen Museum am Rathausplatz, zur Sanierung der Oper und des Schauspielhaus, zur Umgestaltung der Domumgebung und des Deutzer Rheinufers sind im Rat der Stadt gefallen. »Aber viele Entscheider leben gar nicht in der Innenstadt«, sagt Hupke. »Die kommen morgens im Dienstwagen her und sind abends wieder weg.«
750 Euro Aufwandsentschädigung im Monat
Einen Dienstwagen hat Hupke nicht, braucht er auch nicht. Er geht meist zu Fuß. Oder fährt Straßenbahn, die KVB-Fahrten sind für Bezirksbürgermeister frei. So lerne er die Menschen kennen, sagt Hupke, die mit den Aktentaschen und die mit den Bierflaschen. Das sei wichtig: die Menschen kennen. Dann zeigt Hupke stolz seine Visitenkarten. Nicht wegen des Stadtwappens, sondern weil dort »ehrenamtlicher Bezirksbürgermeister« steht, das habe er für sich durchgesetzt, weil das mit dem Ehrenamt kaum einer wisse. 750 Euro Aufwandsentschädigung bekommt er im Monat. Bei den Grünen sei es üblich, alles in die Parteikasse zu geben. »Aber wie soll das dann noch gehen?«, sagt Hupke. Er habe Ausgaben aufgrund seines Amtes. Kleidung, Friseurbesuche... Und dann die ganzen Abendveranstaltungen, kaum Freizeit. Die Hälfte darf er deshalb behalten.
Auf der anderen Straßenseite steht das Historische Rathaus samt Spanischem Bau. Dort klemmt keine Tür, dort stehen keine Aluminium-Container am Eingang. Dort tagt der Rat der Stadt, und dort hat Oberbürgermeister Jürgen Roters sein Büro. Hupkes Schreibtisch steht bloß zweihundert Meter entfernt. Was aber den politischen Einfluss, die Prominenz und die Anerkennung für ihre Arbeit betrifft, trennen die beiden Welten.