Dream of the Rarebit Fiend, 1913, courtesy: Sammlung Alexander Braun

Die inoffizielle Avantgarde

Der Comic-Künstler Winsor McCay bekommt seine erste Werkschau.

Anlass zu fragen, wie es um das Verhältnis von Comic und Kunstkanon steht

Ereignisse in einer Parallelwelt: Freude, Stolz, aber auch ein gewisses Desinteresse stellen sich ein, als ein großes Kölner Kunstmuseum eine Winsor-McCay-Retrospektive ankündigt. Freude bei den Liebhabern der klassischen Moderne, zudem der Stolz, diese hochrangige Ausstellung statt in Frankfurt oder Berlin vor Ort zu wissen. Ein guter Teil des jüngeren Publikums wartet allerdings weit gespannter auf die ebenfalls angekündigte Ausstellung von Bastien Vives. Den kennen Sie nicht? Wir befinden uns ja auch in einer Parallelwelt. Zurück im Gewohnten ist es dem Bildungsstatus nicht abträglich, noch nie von einem Winsor McCay gehört zu haben. Denn der war ein Comic-Künstler – nun ja.

 

Und doch gibt es diese Retrospektive! Das Bilderbuchmuseum Burg Wissem in Troisdorf zeigt »Winsor McCay (1869-1934) – Comics, Filme, Träume«. Es ist die erste Station seiner weltweit ersten Werkschau. Zusammen mit George Herriman gilt McCay als herausragendste Figur der frühen amerikanischen Comickunst. Seine detailreiche und opulent ausgestattete, aber stets filigran gezeichnete Bilderwelt verband die stilistischen Avantgarden seiner Zeit: McCay wusste um die britische Illustrationsschule, fand seine Formen im Art Nouveau, insbesondere dessen kühnen Glas- und Stahlkonstruktionen, und nährte sich am naiven wie euphorischen Exotismus jener Tage. Vor allem gelang ihm mit seinen bekanntesten Serien, »Little Nemo in Slumberland« und »Dreams of the Rarebit Fiend«, die erste umfassende Reaktion auf den wissenschaftlichen Blick in die Innenwelten. In Nemos Träumen erlebte der Leser surrealistische Welten nebst tiefenpsychologischer Deutungsansätze, zwanzig Jahre vor André Bretons erstem surrealistischen Manifest!

 

Solche Zusammenhänge faszinieren auch den Kurator der Ausstellung Alexander Braun, Künstler, Kunsthistoriker, Comicsammler und Autor des kiloschweren Bandes »Das Jahrhundert der Comics. Die Zeitungs-Strip-Jahre« (Museum Huelsmann, Bielefeld 2008). Im Vorwort des Katalogs fragt er, wie es sein kann, dass McCays fundamentales Werk nicht mit einem Wort im Katalog zur großen Wiener Psychoanalyse-Ausstellung »Träume 1900-2000 – Kunst, Wissenschaft und das Unbewusste« Erwähnung fand. Eine symptomatische Lücke: Anders als dem zeitgleich aufkommenden Film ist dem Comic bis heute künstlerische Anerkennung weitestgehend verwehrt geblieben. Das liegt nicht an seiner Geburt als Unterhaltungsmedium in der frühen Moderne, denn dort sahen einige Künstler sehr wohl seine Möglichkeiten – Lyonel Feiningers Zeitungsstrips sind hier nur das augenfälligste Beispiel.

 

Eher waren es ein sehr konservatives Verlegertum und die Kunstdefinitionen der Nachkriegsmoderne, die dem Comic seinen Weg in die hochkulturelle Welt verschlossen, selbst wo er abstrakte Formensprachen entwickelte. Roy Lichtensteins Arbeiten manifestieren mit ihren Rasterklischees die offizielle Perspektive. Doch spätestens seit den 60er Jahren entwickelte der Comic vielfältigste, mitun­ter hochexperimentelle Bildsprachen. Fern eines Dialogs mit der Galeriekunst igelte man sich selber ein, nicht ganz ohne antibürgerliches Pathos. Würde jedoch in Belgien und Frankreich das bürgerliche Publikum ausgesperrt, blieb ein Großteil der Comics unverkauft: Just aus diesen Ländern kommen in den letzten Jahren junge, sehr lebendige und experimentelle Arbeiten.

 

Hierzulande prägte der US-Comic der 80er und 90er Jahre eine Generation von Intellektuellen, die Graphic Novels eroberten sich ihren Platz in den Literaturwissenschaften und seit kurzem auch in immer mehr Bücherregalen. Auch die Manga-Welle schuf neue Aufmerksamkeit. Allein die Kunstwissenschaft ziert sich. Entdecken könnte sie: eine neue Diskussion des Figurativen. Wenn etwa im Comic »In meinen Augen« des erwähnten Bastien Vives die beobachtete Figur plötzlich den Leser anblickt und »Was ist denn?« fragt, entsteht eine faszinierende Rückkopplung.

 

Anderswo erreichen junge Comickünstler ihre Wirkung im gar nicht ironischen, sondern konstruktiven Rückgriff auf die Moderne. Blutch, Nicholas Presl, Alice Lorenzi oder Cyril Pedrosa sind nur einige der zu Nennenden. Auch die Illustrationskunst der Moderne findet derzeit einen starken Widerhall in den jungen Comics. Auf ihre Weise wiederholen sie, was Winsor McCay in seiner Kreativexplosion um 1905 bereits vorführte: Ein Spiel der Möglichkeiten quer durch Stile und Systeme im Dienste einer neuen Sprache. Gerade heute, in einer erodierenden Kunstwelt, belebt diese Öffnung des Blicks. In seinen immer noch zutiefst verblüffenden Ideen erkennen wir McCay als Avantgardisten der frühen Moderne. Auf vom Verfall bedrohten Zeitungspapier und in Original-Zeichnungen warten in Troisdorf auf zwei Stockwerken kleine Wunder – künstlerische Einsichten und Parallelwelten inklusive.

 

 

EXTRA
Winsor McCay, Superhelden, Mangas und Kunst-Comics – findet man alles im Internet. Aber was kann man eigentlich in Köln kaufen? Wo kann man stöbern oder sich beraten lassen? Sechs empfehlenswerte Kölner Comic-Adressen:

 

Pin Up – Comics und mehr
Der klassische Comicladen mit großer Auswahl an Frischware und – Special! - Second Hand Sparte! Es gibt deutschsprachige Comics (Superhelden, Manga, Alben, Independentverlage), US-Comics, Action-, Fantasy- und Filmfiguren, Poster und Postkarten, Zeitschriften- und Zeitungsantiquariat der letzten 100 Jahre.

Adresse: Ritterstraße 46
Öffnungszeiten: Mo-Fr 11-18:30, Sa 10-16 Uhr
pinupcomic.de

 

Fantastic Store
Endlich wieder ein Laden in der Südstadt – mit wachsendem Angebot auch an außergewöhnlicheren Veröffentlichungen. 1995 eröffnete der Fantastic Store in Bergheim/Erft, im April 2010 hat er im Cöln Comic Haus in der Bonner Straße einen modernen Laden eröffnet, wo auch Signierstunden und Workshops stattfinden.

Adresse: Bonner Straße 9
Öffnungszeiten: Mo-Fr 12-19, Sa 11-18 Uhr
comic-heaven.com

 

CHU
Seit 2010 mitten im Belgischen Viertel und schnell zum Szene-Treffpunkt avanciert: In ihrer Take Away Galerie führt Designerin Mela Chu neben Editionen, Künstlerbüchern oder handgemachten Fanzines auch ein kleines, aber fein selektiertes Angebot an Comics. Guter Ort für Entdeckungen!

Adresse: Brüsseler Straße 48
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-20, Sa 12-20 Uhr

 

Bahnhofsbuchhandlung Ludwig im Hauptbahnhof
Umfangreiches Graphic Novel und Manga Angebot – schließlich kommen hier Menschen aus aller Welt vorbei, die ein paar Stunden zum Lesen vor sich haben. Dazu veranstaltet die Buchhandlung Lesungen oder Manga-Wettbewerbe, Termine auf der Website.

Adresse: Im Kölner Hauptbahnhof
Mo-Sa 7-22, So 8-22 Uhr
lesen-mit-ludwig.de

 

Salon Zwei
Der neueste Zuwachs in Ehrenfeld: Der „Schminksalon und Kaufladen für schöne Dinge“ führt ein buntes Sortiment an schönem und Originellem, darunter auch Comics und Graphic Novels von den Verlagen Reprodukt, Edition Moderne, Avant und Edition 52 sowie das Magazin „Spring“.

Adresse: Gutenbergstr. 2 (Ecke Venloer Str.), Ehrenfeld
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-19, Sa 11-17 Uhr, Mo geschlossen
salon2.de

 

StadtBibliothek
Zuletzt: Ausleihen statt Kaufen! Auch die Stadtbibliothek der Stadt Köln mit Haupthaus am Neumarkt ist längst im Zeitalter von Comics und Graphic Novels angekommen. Auf dem Blog unter stadtbibliothekkoeln.wordpress.com wurden die interessantesten Comics des vergangenen Jahres vorgestellt, die man sicherlich auch im Sortiment findet: Platz 1 Bastien Vivès „Polina“; Platz 2 David Mazzucchelli „Asterios Polyp“;  Platz 3 Craig Thompson „Habibi“.

Adresse: Josef-Haubrich-Hof 1 (Neumarkt)
Öffnungszeiten: Di + Do 10-20, Mi + Fr 10-18, Sa 10-15 Uhr
stadt-koeln.de/buergerservice