Winterpause – ab Frühjahr werden Flüchtlinge wieder in den Kosovo abgeschoben, © Kenan Emimi

Frühstück auf der Müllkippe

Im Winter stoppt NRW die Abschiebung in den Kosovo – nicht aber in Nachbarländer

»Ich kann Herrn Jäger nur empfehlen, in Belgrad auf der Müllkippe zu frühstücken. Mit Menschen, die aus Deutschland abgeschoben wurden. Mit Kindern, die ihr Zuhause suchen, in die Schule möchten. Stattdessen wühlen sie im Müll.« Iris Biesewinkel, Leiterin der Sozialberatungsstelle des Rom e.V., sitzt in ihrem kleinen Büro am Venloer Wall und hält ein Schreiben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD) vom 12. Dezember 2011 an die Ausländerbehörden des Landes in den Händen. In diesem legt Jäger den Ämtern nahe, die Abschiebung ethnischer Minderheiten – gemeint sind Roma, Ashkali und Ägypter – in  den Kosovo während der Wintermonate »nicht zu priorisieren«. Damit hat er die von ihm noch eine Woche zuvor verfügte Abschiebung (Erlass vom 5. Dezember 2011) auf politischen Druck von Hilfsorganisationen, Kirchen, des grünen Koalitionspartners und der eigenen Fraktion in letzter Minute gestoppt. Zufrieden ist Biesewinkel damit jedoch nicht, sie spricht von einem »Minimalerlass«: »Die Zahl der Menschen, die dabei durchfallen, ist einfach zu groß.«

 

Merita lebt seit mehr als zehn Jahren in Köln. Wenn es an der Haustür klingelt oder sie den Briefkasten öffnet, schreckt die 29-Jährige zusammen. »Es kann jederzeit passieren«, sagt sie. Sie ist Roma, wurde aber in Serbien geboren und ist damit nicht geschützt vom Wintererlass. Wie viele andere Roma ist sie während des Kosovokriegs geflüchtet. Auch zehn Jahre nach Kriegsende ist für Merita eine Rückkehr unvorstellbar. »Meine Eltern trauen sich kaum auf die Straße, weil sie nur angefeindet werden«, erzählt sie. Iris Biesewinkel fügt hinzu: »Die medizinische Versorgung, Bildung und Wohnsituation in Serbien ist beschissen.«

 

Vor einem Jahr hatte das Innenministerium schon einmal einen Winterabschiebestopp verhängt, der deutlich mehr Menschen schützte: alle einer Minderheit angehörenden Flüchtlinge aus dem Kosovo und Serbien. Der neue Erlass schließt nun nicht nur Serbien aus, sondern betrifft von den kosovarischen Minderheiten nur »besonders Schutzbedürftige«: Familien und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, alleinreisende Frauen, alte Menschen über 65 Jahre und Kranke. Biesewinkel schüttelt den Kopf: »Das macht inhaltlich null Sinn, das ist nur ein Zückerchen für uns Hilfsorganisationen. Und für Behörden gilt man als reisefähig, wenn man liegend am Tropf, in ärztlicher Begleitung transportiert wird.«

 

Am Tag zuvor noch hat die 49-Jährige eine Familie mit drei Kindern betreut, die Anfang Januar aus dem Kosovo nach Köln geflohen ist. Auf der Straße wurden sie von vermummten Männern zusammengeschlagen – weil sie Roma sind. Die erwachsene Tochter wurde verschleppt: »Die Zahl der Roma, die neu oder wieder in Deutschland Zuflucht suchen, steigt. Die gehen kaputt, weil sie in ihren Heimatländern keine Chance auf ein Leben haben.« Vor allem Kinder erleiden einen »Biografie­bruch«, wie das UN-Kinderhilfswerk Unicef in  einer Studie vom September 2011 belegt. Drei Viertel aller abgeschobenen Kinder besuchen keine Schule, weil sie in Deutschland geboren wurden und kein Wort albanisch sprechen. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Situation für Minderheiten im Kosovo weiter verschlechtert hat.

 

Der flüchtlingspolitischen Sprecherin der Grünen, Monika Düker, ist der »Aufschub der Abschiebung« zu wenig. Das Problem müsse grundsätzlich mit einer humanen Bleiberechtsregelung gelöst werden. Denn am 1. April, wenn der Winterabschiebestopp endet, sind die Temperaturen zwar etwas milder, die Lebensbedingungen bleiben jedoch die gleichen.