CO2-arm leben in Bickendorf: Familie Tenberg in ihrer Küche, Foto: Manfred Wegener

Pecorino ist der neue Rinderbraten

Kölner Haushalte haben ein halbes Jahr lang versucht, den eigenen CO2-Ausstoß im Rahmen des Projekts »KlimaAlltag« um ein Viertel zu senken. Wir haben sie besucht — und festgestellt: Leicht lässt sich der innere Schweinehund nicht überwinden.

Es ist ruhig in Alt-Bickendorf. Beschauliche Häuserreihen, alte Klinkerbauten, viel Grün. An einem der Briefkästen klebt ein Aufkleber »Atomstrom, nein danke!«, Kinderräder lehnen an der Hauswand. Die Familie Tenberg ist um den großen Tisch in der Wohnküche versammelt, die vierjährige Marlene kuschelt sich auf den Schoß ihrer Mutter, die achtjährige Emily sitzt daneben und hört Klimaberaterin Andrea Schwahn aufmerksam zu. Die Frau vom Verbraucherschutz ist zum zweiten Mal im Haushalt der fünfköpfigen Familie. Ein halbes Jahr lang begleitet sie die Familie Tenberg bei ihrem Versuch, den eigenen CO2-Ausstoß im Rahmen des Projekts »KlimaAlltag« um ein Viertel zu senken.

 Überraschend viele Kölner Haushalte haben sich im vergangenen Jahr für den Feldversuch »KlimaAlltag« beworben. Neunzig Haushalte wurden ausgewählt, möglichst viele Lebensphasen und Bevölkerungsschichten sollten vertreten sein: Haushalte mit Migrationshintergrund, Bezieher von Transferleistungen, aber eben auch Doppelverdiener mit Familie. Das ist weitestgehend gelungen. Initiiert wurde der Feldversuch unter anderem vom Verbraucherschutz NRW und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Die fokussierten Fragestellungen: Wie sieht Klimaschutz im Alltag einer Großstadt aus? Lässt sich durch bewusstes Handeln der CO2-Ausstoß senken? Und was genau sind die Hemmschwellen, wo fällt Klimaschutz im Alltag besonders schwer?

 

Dass mit dem Einkauf von regional-saisonalen Produkten viel CO2 eingespart werden kann, war Familie Tenberg schon im Vorfeld klar. Die Umsetzung ist bei drei Kindern, zwei berufstätigen Eltern und einem straffen Wochenplan dennoch kompliziert: Gewohnte Abläufe müssen neu strukturiert werden.  »Unser Zeitfenster für den Einkauf ist nicht besonders groß«, sagt Bernd Tenberg und schiebt nach, dass er eigentlich ein Fan von großen Einkaufsläden sei. Er ist verantwortlich für den Familieneinkauf. Bislang hat er einmal pro Woche seinen Kofferraum randvoll mit Vorräten vollgeladen. Seit den Besuchen von Andrea ­Schwahn hat sich das geändert. Gerade in Bickendorf sei die Umstellung allerdings gar nicht so einfach, erklärt Tenberg: Der Wochenmarkt ist nicht besonders gut sortiert, Bioläden gibt es kaum, geschweige denn einen Bauernhofabverkauf in der Nähe.

 

      Also hat die Familie auch im Supermarkt Ausschau nach Regionalem aus kontrolliert biologischem Anbau gehalten — mit wenig Erfolg: Dass viele Bioprodukte gar nicht aus Deutschland kommen, sei ihnen zuvor gar nicht so bewusst gewesen. Eine Gemüsekiste aus der Region ist die Lösung. Die stand sowieso schon lange auf der Agenda, »aber erst jetzt ist das Bewusstsein dafür richtig da«, sagt Christina Tenberg, »das ist zu einem richtigen Familienthema geworden.« Lukas, der 15-jährige Sohn, nickt zu den Sätzen seiner Mutter. Er isst gerne Fleisch, auch da hat sich einiges geändert. Mit tierischen Fetten wird zuhause sparsamer umgegangen, Schnitzel gibt es nicht mehr so oft. Das findet er aber in Ordnung, »das kann man so weitermachen«. Das Auto wurde zugunsten von Car-Sharing abgeschafft, der Wäschetrockner läuft seltener und fast alle schauen nun immer, ob das Licht beim Verlassen des Hauses aus ist.

 

      Dass die Pro-Kopf-Emission von CO2  in Deutschland mittlerweile bei mehr als zehn Tonnen liegt, wissen die wenigsten. Und dass das Einsparpotenzial im eigenen Haushalt tatsächlich große Auswirkungen auf den Schutz des Klimas hat, wohl auch nicht. Allein durch eine konsequente Umstellung der Ernährung ließe sich einiges ändern. Immerhin 18 Prozent CO2 pro Kopf werden durchschnittlich durch Ernährung erzeugt. Was und wie wir essen, ist aber Resultat von Gewohnheiten. Die zu ändern bedeutet, das eigene Handeln erst einmal grundlegend zu hinterfragen. Genau an diesem Punkt setzt das Projekt »KlimaAlltag« ein. Die Bereiche Wohnen, Ernährung und Mobilität sollten in punkto CO2-Emission auf den Prüfstand kommen. Keine leichte Aufgabe.

      Frank Waskow von der Verbraucherzentrale NRW ist der Ansicht, dass nur so dauerhaft positive Ergebnisse für den Klimaschutz erzielt werden können. Seiner Meinung nach müssen die meisten erst einmal die Erfahrung machen, dass sie durch ihr eigenes Handeln auch einen positiven Output erzielen können. Dazu braucht es aktive Hilfestellungen, wie etwa die eigens ausgebildeten Klimaberater. »Die Politik greift viel zu oft nur zu Flyern und Infobroschüren, die Sachverhalte erklären sollen. Dauerhaft bringt das aber gar nichts.«  Die ersten Ergebnisse des Feldversuchs geben Frank Waskow Recht. Von neunzig Haushalten sind achtzig bis zum Schluss dabeigeblieben. Die Absicht, etwas zu ändern, ist bei immerhin siebzig Prozent weiterhin vorhanden.

 

      Das gilt auch für den Haushalt von Christopher Haag und Veronika Zeidler. Die beiden wohnen in Weidenpesch, er arbeitet als Bauingenieur, sie als Krankenschwester. Kinder haben sie keine. Ihre freie Zeit verbringen die beiden gerne mit Heimkino. Wo andere Bücher im Regal stapeln, reihen sich hier viele DVDs aneinander. Eine Leinwand ist im Wohnzimmer fest installiert, ein Beamer unterhalb der Decke angebracht. Christopher Haag macht deutlich, dass das Projekt hier im Freizeitbereich seine Grenzen findet. Trotzdem hat er wochenlang akribisch die Nutzung der einzelnen Lichtquellen im Haushalt notiert. Nicht nur, wann welches Licht eingeschaltet wird, sondern auch, wie lange es brennt. Das alles hat er aufgezeichnet und Einsparpläne ausgearbeitet. Jetzt wissen sie genau, wie lange sie sich im Bad aufhalten, welche Lichtquellen am meisten benützt werden — und  dass das Lämpchen im Beamer ein großer Energiefresser ist. Eine anschauliche Dokumentation des eigenen Alltags.

 

      Ähnlich minutiös ist Veronika Zeidler beim Thema Lebensmittel vorgegangen. Küchenabfälle hat sie abgewogen, dokumentiert und einzuschränken versucht. Und auch in ihrem Haushalt sind Fleisch und Wurst entgegen alter Gewohnheiten seltener im Kühlschrank: Ihre anfängliche Skepsis gegenüber einer Ernährungsumstellung haben die beiden überwunden, Vegetarisches steht nun öfter auf dem Tisch, Neues wird probiert. Erstaunt sind sie, als ihnen Klimaberaterin Sonja Pannenbecker erklärt, dass Milchprodukte mit langer Reifezeit fürs Klima nicht viel besser sind als ein Rinderbraten. Kurzum: Wer seinen Fleischkonsum mit Pecorino kompensieren will, handelt nicht im Sinne einer reduzierten CO2-Emission.

 

      Wie viel Kohlendioxid jeder Klimahaushalt letztendlich eingespart hat, kann das Projekt nicht genau angeben. Positive Tendenzen sind auszumachen, aber keine klaren Zahlen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man zwar den Stromverbrauch im Haus gut messen kann, den Energieaufwand für Lebensmittel jedoch kaum. Bleiben die Fragen: Was macht die kommunale Politik mit dem Ergebnis? Wie weit darf sie zum Schutze des Klimas ins Privatleben ihrer Bürger eingreifen? Werden Stromsparer von der Kommune zukünftig belohnt? Und ist nach dem Rauchverbot vielleicht auch eine kommunale Regelung des Fleischverzehrs denkbar?