Brutalismus mit Pommes und Salat
Es war kalt an jenem Oktobertag, an dem ich mein Studium in Köln begann. Die neue Stadt wirkte groß, ich dagegen fühlte mich klein. Das Gebäude, das meinem Gefühl entsprach, erblickte ich kurz vor meiner Ankunft an der Haltestelle der Universität. Ein über drei Etagen sich erstreckender unübersichtlicher Bau in dreckigem Rot und Moosgrau. Eine Burg des 20. Jahrhunderts, mit Lüftungsrohren anstelle von Zinnen, mit Betonaufgängen statt einer Zugbrücke, die wie bei einem Escher-Bild überall und nirgendwo hinzuführen schienen: die Uni-Mensa.
Jedoch — die anfängliche Verwirrung wich bald Vertrautheit. Ebenso wie Stadt und Studium erfuhr das vormals erdrückende Gebäude eine Umdeutung. Zum Sehnsuchtsort. Eine Sehnsucht,die nicht auf Palmen oder Meeresrauschen gründete, sondern auf Getränkerücknahmeautomaten und dem Geräusch brummender Handtrockner. In meinem Leben spielten nicht nur Deleuze oder Benn oder Hume eine wichtige Rolle, sondern auch der »Rinderschmorbraten Esterhazy« und die »Asia-Pfanne Suzie Wong«.
Uni-Campus soll verwachsen mit den angrenzenden Stadtquartieren
Nun, Jahre nach dem Studium, diese Nachricht: Im Rahmen des Masterplans für die Universität plant man, das 1974 fertig gestellte Gebäude abzureißen. Verdichtung ist das Zauberwort, der Uni-Campus soll verwachsen mit den angrenzenden Stadtquartieren, der Grüngürtel soll freigeschaufelt werden. Beschlossen werden sollen die Pläne Ende Mai, ein Abriss könnte schon 2020 stattfinden.
Städtebauliche Integration, mehr Grün — schön und gut. Trotzdem verwahre ich mich gegen einen Abriss. Dieses Gebäude hat seine bloße Funktionalität längst transzendiert, ist vielmehr vor allem ein Ort des sozialen Austauschs. Hier habe ich meinen ersten Mitbewohner auf der Treppe kennengelernt. Beim Mittagessen und Kaffeetrinken und Versäumen des Seminars wurden die Weichen für eine langjährige Freundschaft gestellt. Ich kenne Menschen, die haben hier Beziehungen begonnen. Und wieder beendet. Das alles ist passiert hier, in dieser Betonburg.
Schlechtes Essen macht nicht den Bau schlecht
Dass das Essen zumeist durchschnittlich ist oder war, macht nicht den Bau schlecht. Auch Gebäude in Diktaturen sind nicht per se schlecht, weil dort Menschen gefoltert wurden. Und im Gegensatz zu vielen denkmalgeschützten Gebäuden in Köln und anderswo musste für den Bau der Mensa zwischen 1970 und 1974 niemand sterben.
Die Mensa passt in unsere Zeit. Sie ist die Gebäude gewordene Krise. Hier ist nichts aufgehübscht, nichts geschönt, nichts verkleidet. Drinnen der graue Noppenfußboden, die seltsam verschachtelte Deckenverkleidung, die sich nicht die geringste Mühe gibt, Rauchmelder, Rohre und Kabel zu verstecken. Draußen der raue, rissige Beton.
Ein Gebäude wie Punkrock. Wider das Gepflegte, Kunsthandwerkliche, Geschickte. Für das Unverputzte, Ungehobelte. Für Punkrock muss man keine Akkorde spielen können — und auch die Vorläufer dieses brutalistischen Baustils waren keine Architekten: Mies van der Rohe ein Stukkateur, Le Corbusier eigentlich Maler.
Auch das Riphahn-Ensemble interessierte lange Zeit niemanden
Im Gegensatz zu Letzteren hat die Epoche der Zweiten Nachkriegsmoderne zwischen 1960 und 1980 noch keine Lobby. Technische, von der Ratio geprägte Architektur hat es immer schwerer. Da fallen schnell Begriffe wie seelenlos, unmenschlich. Aber ist es nicht unmenschlicher, ein Gebäude mit so vielen Erinnerungen für so viele Menschen abzureißen?
Auch das Riphahn-Ensemble am Offenbachplatz interessierte lange Zeit niemanden, schon gar nicht die Ästheten. Dann plötzlich schien es gleich nach dem Dom das wichtigste Erbe der Stadt sein. Es wird Zeit, auch Gebäude aus den verschmähten 60er und 70er Jahren auf die Liste der schützenswerten Denkmäler zu setzen. Wo sind all die Menschen, die sich für das Schauspielhaus einsetzen, für das Helios-Gelände in Ehrenfeld? Auch die Uni-Mensa an der Zülpicher Straße darf nicht sterben!