Perfekte Welle
WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz hat eine sehr genaue Vorstellung von den Hörern, die er für sein drittes Radioprogramm gewinnen möchte: »Leistungsorientierte Hörer, die das Radio einschalten, um morgens eine Buchbesprechung zu hören, damit sie abends auf der Party mitreden können — auch wenn sie das Buch selbst gar nicht gelesen haben.«
Mit diesem Hörerprofil begründete Schmitz im Sommer 2008 eine anstehende Programmreform bei WDR3. Vorangegangen waren bereits Reformen in den Jahren 2001 und 2004, immer getragen von dem Anspruch, ein jüngeres Publikum anzusprechen und eine größere Reichweite zu generieren. Mit jeder Reform wurden kulturelle Eckpfeiler der Welle geschleift, der anspruchvollste Sender des Westdeutsche Rundfunks wurde — um es neutral auszudrücken — vereinfacht. Ein Ergebnis der Maßnahmen wurde gerade bekannt: Die Einschaltquote lag im vergangenen Halbjahr bei 1,4 Prozent. Vor der ersten großen Reform 2001 waren es noch 2,3 Prozent.
Unter den Unterzeichnern: Navid Kermani, Schorsch Kamerun, Eva Mattes
Diese ernüchternden Zahlen interpretieren Intendanz und Hörfunkdirektion offenbar so, dass die Reformen noch nicht gegriffen haben und fortgesetzt werden müssen: mit neuen Maßnahmen wie Abschaffung oder Rückbau des politischen Journals, des Musikfeatures, des Literaturfeatures sowie der Ablösung der Musikredaktion durch ein computergeneriertes Musikprogramm — und das alles zum Stichtag 1. Mai. Ganz anders denken diese Einschaltquoten — und die grundsätzliche Entwicklung des Senders — die Radioretter. Unter diesem Namen hat sich im Februar eine Initiative für Kultur im Rundfunk gegründet.
Einer der Initiatoren ist Lothar Fend, der bis zu seiner Pensionierung mehr als 30 Jahre lang als Kulturredakteur bei WDR3 das Programm mitgestaltete. Als die ersten Reformpläne aus der Hörfunkdirektion die Runde machten, gelang es Fend in kürzester Zeit, eine so große wie illustre Widerstandsbewegung zu formieren. Unter den Unterzeichnern eines Offenen Briefs an WDR-Intendantin Monika Piel finden sich auf der Homepage die-radioretter.de Richard David Precht, Günter Wallraff, Navid Kermani, Schorsch Kamerun, Eva Mattes, Sten Nadolny, Tom Koenigs und viele Künstler, Literaten, Wissenschaftler mehr. Bis Mitte März waren mehr als 14.000 Unterschriften zusammengekommen.
»Kulturverständnis aus den 70ern des letzten Jahrhunderts«
Die Situation ist bizarr: Ein mit entsprechendem Programmauftrag ausgestatteter öffentlich-rechtlicher Kultursender befindet sich mit den Kulturschaffenden des Landes im offenen Widerstreit. Hörfunkdirektor Schmitz begründet seine jüngsten Reformabsichten mit dem Ziel, »alle die zu erreichen, die mit einem breiteren Kulturverständnis unterwegs sind. Das sind die etwas Jüngeren, die auch ins Kino gehen, sich mit neuen Medien beschäftigen, oder die Kabarett für sich entdeckt haben.«
Hier artikuliert sich ein gern angewendetes Intellektuellen-Bashing, das dem bisherigen Hörer ein enges Kulturverständnis unterstellt, einen akademischen Tunnelblick sozusagen. So wie eben all jenen, »deren Kulturverständnis aus den 70ern des letzten Jahrhunderts stammt«, wie Schmitz dürftig ironisierend seinen Kritikern attestierte. Ausgerechnet die 70er Jahre, eine Dekade, die mehr als alle späteren im Zeichen der Aufklärung, der Bildung, des politischen Bewusstseins und des kulturellen Aufbruchs stand, werden von Schmitz diskreditiert, um die Durchhörbarkeit, Entpolitisierung und den kulturellen Rückbau von WDR3 durchzusetzen.
Überlegungen zur Zukunft des Kulturradios
Zukunftsfest also ist, wer freiwillig verflacht. Für die FAZ ist das nicht weniger als die »Preisgabe der öffentlich-rechtlichen Legitimaton«. Genau diese Legitimation aber wollen die Radioretter bewahren. Im ersten von fünf Punkten in eines Offenen Briefs heißt es: »Das Kulturradio muss dem Hörer zugewandt sein; es darf ihn nicht unterfordern oder ruhigstellen, es muss sein Interesse wecken und Zusammenhänge wie ungewöhnliche Perspektiven vermitteln. Das Kulturradio füllt einen umfassenden Kulturbegriff mit Leben.«
Dass es den Initiatoren nicht nur um Besitzstandswahrung geht, zeigt sich in einem Schreiben an den WDR-Rundfunkrat, in dem Überlegungen angestoßen werden, mit welchen Reformen in Zeiten von Internet und iPod ein zeitgemäßes Kulturradio entwickelt werden kann. Weil es auf diese Frage keine einfachen Antworten gibt, bereiten die Radioretter, denen, wenn auch nicht offen, auch WDR-Redakteure angehören, eine Veranstaltung in Köln vor: Rundfunkjournalisten, Kulturwissenschaftler, Medientheoretiker und Kulturschaffende sollen über Möglichkeiten eines modernen Kulturradios diskutieren.
Monika Piel reagiert in Angela-Merkel-Manier
WDR-Intendatin Monika Piel, an die der erste Offene Brief adressiert war, reagiert indes in Angela-Merkel-Manier: abtauchen und machen lassen. Ihr Hörfunkdirektor Schmitz kämpfe seine Pläne aber nicht gegen seine eigene Überzeugung durch, ist von WDR-Redakteuren zu hören. Für ihn sei die Reform auch Teil der eigenen Karriereplanung. Mittelfristig sollen die Kulturwellen aller ARD-Anstalten zusammengeschaltet werden. Wenn es so weit ist, könne Schmitz auf sein Haus und seine besondere Reformkompetenz verweisen.
Doch nicht nur freie und festangestellte Kulturjournalisten im Haus arbeiten als Radioretter dagegen an, auch die Gewerkschaft Verdi sowie der Kulturrat NRW haben sich auf deren Seite geschlagen. Andere Sender sind ebenfalls alarmiert und verfolgen Schmitz’ Treiben mit Argwohn. Sowohl der Bayerische Rundfunk als auch der Südwestrundfunk haben eigenständige und ambitionierte Kulturprogramme und verwahren sich gegen ein gleichgeschaltetes ARD-weites Mantelprogramm in Schmitz’ Sinne.
Entscheidung fällt Mitte April im Rundfunkrat
Der WDR-Rundfunkrat, bislang keine Bastion kritischer Bedenken, hat in seiner Sitzung vom 2. März, offenbar unter dem Eindruck des Engagements der Radioretter, um eine Vorlage der Reformkonzepte gebeten. Das könnte für Schweißausbrüche bei den Reformern sorgen, denn bislang blieben sowohl sämtliche Bitten der Redaktionen als auch der Radioretter um Einsicht in Reformpapiere unerhört. WDR-Redakteure erklären das hinter vorgehaltener Hand mit dem Versuch der Hörfunkdirektion, sich nicht, oder jedenfalls nicht zu früh, mit schriftlich fixierten Plänen angreifbar zu machen.
Entscheidend für Rücknahme oder Inkrafttreten der Reformpläne ist die Tagung des Programmausschusses Mitte März, die nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe standfand. Segne der Ausschuss die Reform ab, sagen WDR-Redakteure, winke am 16. April auch der Rundfunkrat die Pläne durch. Dann können WDR3-Hörer wieder auf Partys gehen, denn für Gesprächsstoff ist ja gesorgt — und sei es über den Niedergang des Kulturradios.