Abgründige Schnitzeljagd
Drei Begegnungen, die nacheinander gespielt werden, in Wahrheit aber parallel verlaufen. An einem Sommerabend, in der Nähe des Flughafens Heathrow, wie ein Foto-Triptychon im Bühnenhintergrund verbildlicht.
Simon Stephens, hochdekorierter britischer Gegenwartsdramatiker, spielt mit uns, den Zuschauern: Er lässt Thema und Zusammenhang der Begegnungen möglichst lange im Dunkeln, baut kleine Querverweise ein, die die Regie in den besseren Momenten (Inszenierung: Dieter Giesing) aufnimmt: Frieda (Anja Laïs) träumt einen Moment lang davon, mit ihrem Pflegesohn (Carlo Ljubek) nach Kanada zu gehen und Orcas zu beobachten. In der nächsten Episode zappt sich jemand im Hotel durchs Fernsehprogramm – wir sehen kurz: einen Orca. Hübsche Schnitzeljagd.
Manche Figuren kennen einander, auch über die verschiedenen Episoden hinweg. Ein wirklicher inhaltlicher Zusammenhang verbindet sie jedoch nicht, so angestrengt wir auch suchen. Außer vielleicht durch den Titel des Stücks: Wastwater ist ein tiefer See in England, von dem eine der Figuren sagt, er liege still da, ohne preiszugeben, wie viele Leichen sich unter der Oberfläche verbärgen. Auf der Bühne sehen wir: Figuren mit Abgründen. Die sie jedoch, da bricht die Analogie zum See ab, im Dialog preisgeben.
Für die Regie ist Simon Stephens’ Hyperrealismus nicht einfach. Routinier Dieter Giesing lässt die jeweiligen Paare – stets eine Frau und ein Mann – häufig im größtmöglichen Abstand agieren, über die ganze Breite der Halle Kalk hinweg. Abschied oder geplanter Seitensprung: Keiner geht in den kalten Räumen auf Tuchfühlung. Bühnenbildnerin Katrin Nottrodt definiert wechselnde Orte mit klugem Lichteinsatz, verwandelt dunkel schimmernde Bodenplatten vom unergründlich dunklen Gewässer zum marmorkühlen Hotelboden.
Die Spannung in den Dialogen zu halten, ja zu steigern, gelingt am überzeugendsten in der letzten Begegnung - der zwischen Martin Reinkes Jonathan und der Sian Pauline Knofs, die so viel Energie und Überzeugungskraft mit sich bringt, dass man dem Machtspiel gebannt zuschaut. Reinke kann ihr viel entgegensetzen, auf eine leise, eindringliche, widerborstige Art, gedemütigt, aber nicht gebrochen. Der Höhepunkt des Abends.
Als Regie-Mitarbeiter ist übrigens der große Choreografen-Zampano Johann Kresnik gelistet. Merkwürdig: Die Schauspielerinnen, mit höchstmöglichen Slings und Pumps ausgestattet, wirken zum Teil in ihrer Bewegungsfreiheit, vielleicht absichtsvoll, sichtbar eingeschränkt. War etwa das zappelige Herumstehen die Herausforderung an den zweiten Altmeister des Abends?
»Wastwater« von Simon Stephens, R: Dieter Giesing, Halle Kalk.