Foto: Manfred Wegener

»Verkehr ist Politik«

Wie sieht die Zukunft der Mobilität in Köln aus?

Ein KVB-Streik vor mehr als 20 Jahren ist schuld. Hansgeorg Kleinmann wollte damals wie immer mit der Bahn von Frechen nach Köln zur Arbeit fahren. »Notgedrungen habe ich es dann einfach mal mit dem Fahrrad versucht. Und festgestellt: Das ist gar nicht so schwer. Und geht genauso schnell wie mit der Bahn.«

 

Kleinmann ist dem Fahrrad treu geblieben. Mehr noch: Er engagiert sich im Kreisverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Die fahrrad- und fußgängerfreundliche Stadt ist so etwas wie seine Lebensaufgabe geworden.

 

Ein Auto hat er seit fünfzehn Jahren nicht mehr. »Ich bin kein Autohasser von Geburt an«, sagt er, »ich bin früher sogar gern gefahren«. Heute lebt Kleinmann in der autofreien Siedlung in Nippes. Das komme seinem Wunschbild von Stadt schon sehr nahe, sagt er.

 

Fahrrad- und Fußgängerfreundlichkeit - in Köln noch Utopie

 

Verfolgt man die Medienberichterstattung in Köln, könnte man meinen, Kleinmann sei ein Exot. Ein Öko-Fanatiker. Der Kalker Bezirksbürgermeister Markus Thiele lässt sich aus Protest gegen Geschwindigkeitslimits an ein Tempo-70-Schild ketten, der ADAC kürt die Stadt zur autofeindlich­sten Deutschlands und fordert Verbesserungen für Autofahrer, die FDP moniert eine Diskriminierung der Autofahrer und der Streit über eine Bahnquerung der Rheinuferstraße und die daraus womöglich entstehenden Staus sorgt für heftige Diskussionen im Rat und wochenlange Schlagzeilen.

 

»Das ist schon seltsam in Köln. Da werden noch Schlachten der 80er Jahre geschlagen«, wundert sich Jörg Thiemann-Linden vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) in Berlin. Beim DIFU beschäftigt man sich mit Perspektiven städtischer Entwicklung, Thiemann-Lindens Schwerpunkt ist Mobilität. Früher hat Thiemann-Linden für die Stadtverwaltung in Köln gearbeitet. Seit zwei Jahren ist er beim DIFU. Unter der Woche lebt er in der Hauptstadt, am Wochenende fährt er heim nach Kalk. Mit der Bahn, versteht sich.

 

Thiemann-Linden sieht für Städte wie Köln akuten Handlungsbedarf. »Es muss eine Transformation im gesamten Stadtverkehr stattfinden.« Mit dieser Meinung ist er nicht alleine: »Mehr Raum für Fußgänger, mehr für Fahrradfahrer, mehr für den öffentlichen Nahverkehr — wir brauchen einen kompletten Paradigmenwechsel«, sagt auch Felix Huber. Der 54-jährige Stadtplaner lehrt an der Universität Wuppertal und sitzt in der Zukunftskommission ÖPNV des Landes Nordrhein-Westfalen.

 

Weg vom Auto, hin zur Nahmobilität

 

Neben der Lärmbelästigung, der sinkenden Lebensqualität aufgrund verstopfter und zugeparkter Innenstädte und der hohen Unfallgefahr sind es vor allem die schwindenden Ölreserven und die Klimaschutzziele, denen sich auch die Stadt Köln verschrieben hat, die eine Einsparung von 80 Prozent CO2 bis 2050 vorsehen, und deretwegen Menschen wie Huber den von Umweltverbänden schon länger geforderten Wandel für überfällig halten.

 

Auch der Druck von außen nimmt zu: Die Europäische Union hat im November vergangenen Jahres ein Weißbuch vorgelegt. Die Vorgabe: In 50 Jahren fahren in unseren Städten keine Fahrzeuge mit Diesel- oder Benzin-Antrieb mehr herum.

 

Auch Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen macht sich Gedanken über einen Paradigmenwechsel im Verkehr. Im März 2012 stellte das Verkehrsministerium den Aktionsplan zur Förderung der Nahmobilität vor. Nahmobilität bezeichnet sämtliche nicht-motorisierte Mobilität — neben Radfahren und Zufußgehen auch Inliner- oder Skateboardfahren. Das Ziel: Die Nahmobilität soll 60 Prozent des Gesamtverkehrs betragen. Der Fuß- und Radverkehr dürfe nicht länger als Additiv einer auf Auto und ÖPNV konzentrierten Verkehrspolitik betrachtet werden, heißt es.

 

Mehr Räder auf die Straße

 

Im Zentrum des NRW-Programms steht der Fahrradverkehr. 2011 wurden in Köln über 600.000 Radler mehr als im Vorjahr gezählt. Die wachsende Bedeutung des Radverkehrs wird in den Planungen der Stadt Köln jedoch nicht berücksichtigt. Zwei bis drei Euro pro Kopf werden jährlich in den Radverkehr investiert, der Löwenanteil davon in Radwegsanierungen. Zum Vergleich: In Kopenhagen gibt es acht bis zwölf Euro pro Einwohner, im italienischen Parma gar 25. Für den Autoverkehr zahlen deutsche Städte bislang im Schnitt 200 Euro.

 

»In den vergangenen Jahren gab es nicht mehr als kosmetische Korrekturen«, sagt Hansgeorg Kleinmann. »Hier und da mal eine Tempo-30-Zone, die Öffnung einer Einbahnstraße für Fahrräder. Aber das sind nur punktuelle Verbesserungen.«

 

Neben mehr Abstellanlagen und flüssigeren Ampelschaltungen ist zudem eine umfassende Änderung des Stadtraums vonnöten. »Die Räume, die der Autoverkehr einnimmt, müssen zu Gunsten von anderen Fortbewegungsarten zurückgedrängt werden«, sagt Bettina Tull, die bei der Grünen-Landtagsfraktion in Düsseldorf arbeitet und im Kölner Stadtrat sitzt. 2008 lag der Anteil des motorisierten Individualverkehrs in Köln bei 42 Prozent.

 

Ideen sind da — Kölns Konzept fehlt

 

An Ideen mangelt es nicht. Tull fordert eine Verschärfung der Umweltzone: Die wurde zwar am 1. April dieses Jahres auf knapp ein Fünftel des Kölner Stadtgebiets vergrößert, allerdings dürfen im Moment auch Fahrzeuge mit roten und gelben Plaketten noch rein. Erst ab 2014 sollen nur noch Autos mit grüner Plakette erlaubt sein.

 

Verkehrsplaner Huber könnte sich eine City-Maut nach Londoner Vorbild vorstellen. Und Susanna Dos Santos-Hermann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD in Köln, hält es für wichtig, dass es attraktiver wird, außerhalb der Innenstadt zu parken. »Die Park-and-Ride-Station in Weiden-West ist der Erfolgsschlager. So was brauchen wir auch im Rechtsrheinischen an der Linie 1, oder in Thielenbruch an der 18.«

 

Auch Siegfried Rupprecht, der mit seiner Firma europäische Städte in Mobilitätsfragen berät, hat Ideen für die Zukunft des Verkehrs in Köln: Der 51-Jährige fordert Tempo 30 auch auf lokalen Hauptverkehrsstraßen und eine stärkere Verlegung des Radverkehrs auf die Straße.

 

Maßnahmen wie diese seien jedoch nur als Teil eines Gesamtentwurfs sinnvoll. »Dass die Stadt Köln kein aktuelles Verkehrsentwicklungskonzept hat, ist ein Unding. Eine Stadt muss eine Vision entwickeln: Wo wollen wir verkehrstechnisch hin? Man braucht ein lokal verwurzeltes, unter Bürgerbeteiligung entwickeltes Konzept.«

 

Bereits 2007 hat der Rat bei der Verwaltung ein neues Gesamtverkehrskonzept angefordert, »da warten wir ungeduldig drauf«, sagt auch Dos Santos-Hermann. Das aktuelle Konzept datiert von 1992. Laut Stadtplanungsamt wird eine neue Fassung noch ein paar Jahre auf sich warten lassen.

 

ÖPNV-Bedarf sprengt Kapazitäten

 

Im Laufe des Jahres soll immerhin ein aktualisierter Nahverkehrsplan vorgestellt werden, heißt es aus dem Stadtplanungsamt. Auch im ÖPNV steigt der Bedarf. 2010 fuhren in Köln fast 275 Millionen Menschen mit Bus und Bahn. Das sind 2,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor, und 25 Prozent mehr als 1995.

 

»Wir können aber nicht dafür werben, dass noch mehr Leute vom Auto auf die Bahn umsteigen, weil wir keine Kapazität dafür haben«, sagt Bettina Tull. Viele Busse und Bahnen sind zu Hauptverkehrszeiten völlig überfüllt. Auf bestimmten Routen stauen sich die Bahnen fast täglich, weil zu viele Züge die Strecken nutzen. Gravierendster Fall ist die Ost-West-Achse der Linie 1 zwischen Weiden und Kalk. Einer Erweiterung der Bahnen von zwei auf drei Waggons steht entgegen, dass die meisten Haltestellen dafür umgebaut werden müssten.

 

Ein weiteres Problem: Stadtteile wie Zündorf-Süd, Esch oder Meschenich sind nur unzureichend angebunden. Um von Esch in die Innenstadt zu kommen, muss man zweimal umsteigen und braucht 45 Minuten. »Diese abgehangenen Stadtteile müssen wir integrieren«, sagt Tull.

 

Nicht minder problematisch sind die Preise des ÖPNV in Köln. 2012 stiegen die Ticketpreise um 3,4 Prozent. Eine Einzelfahrt der Preisstufe 1b (eine Fahrt vom Rudolfplatz zum Chlodwigplatz) kostet 2,60, ein Monatsticket 81,10 Euro. »Durch die momentanen Preise schließen wir Leute von der Mobilität aus. Zugespitzt: Die müssen zu Hause bleiben«, sagt VCD-Mitglied Kleinmann.

 

Langwierige Lösungen, unklare Finanzierung

 

Dass diese Probleme nicht angegangen werden, hat mehrere Gründe. Zum einen dauern bauliche Veränderungen im öffentlichen Nahverkehr lange. »Maßnahmen auf der Schiene haben einen riesigen Vorlauf. Von der Planung bis zur Bahn vergehen Jahrzehnte«, sagt Kleinmann. Selbst eine vergleichsweise unaufwändige Maßnahme wie eine Schienenverlängerung nach Widdersdorf würde fünf Jahre dauern, schätzt er.

 

Ersatzweise muss man auf Busse ausweichen, wie bei der rege genutzten Uni-Buslinie 142. Indes: Die zumeist mit Diesel betankten Fahrzeuge sind alles andere als umweltverträglich — eine nachhaltige Lösung sieht anders aus.

 

Zum anderen bleibt die Finanzierung durch die Kommunen schwierig. Das Verkehrsfinanzierungsgesetz des Bundes läuft 2019 aus, es gibt noch keine Nachfolgelösung. Auch vom Land ist nach der Auflösung des Landtags im März nicht viel zu erwarten. »Wir sind gerade in Haushaltsgesprächen. Da sind viele Projekte zurückgestellt«, sagt Tull. So mussten die erst Anfang März eingeführten Sozialtickets größtenteils gestoppt werden, da die Finanzierung durch den Landeshaushalt nicht mehr gesichert war.

 

Das Hauptproblem liege aber auch hier an anderer Stelle, meint Rupprecht. »Die KVB sieht sich als Unternehmen, das Busse und Bahnen in Köln fahren lässt. Öffentlicher Verkehr muss aber als Teil der Daseinsfürsorge für die Bevölkerung und als Mittel der Stadtentwicklung betrachtet werden. Die Stadt muss bei KVB und VRS klar Farbe bekennen. Verkehr ist Politik.«

 

Dass es finanzielle Möglichkeiten gebe, zeigte zum Beispiel die Nord-Süd-Bahn. »Das hat 1,2 Milliarden gekostet, dafür hätte man unglaubliche Dinge im Stadtverkehr bewegen ­können.« Auch Felix Huber sieht keine Alternative: »Die Erreichbarkeit der Innenstädte muss über den öffentlichen Nahverkehr sichergestellt werden. Der ÖPNV ist das Mobilitätsrückgrat, da docken alle Formen dran an. Darauf muss die Politik eine Antwort finden.«

 

Bund setzt auf Elektromobilität

 

Der Bund setzt statt auf eine Stärkung des ÖPNV und der Nahmobilität auf automobile Elek­tromobilität. 2008 stellte die Bundesregierung ihren »Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität« vor. Laut VCD wurden mehr als 3,5 Milliarden Euro als Förderungspaket für Elektroautos zur Verfügung gestellt.

 

Auch Köln ist im Rahmen des Projektes »ColognE-mobil« mit dabei. Abgesehen davon, dass die Automobilbranche finanzkräftig genug wäre, die Forschung selbst zu finanzieren, halten Experten wie Wolfgang Lohbeck von Greenpeace den Fokus für falsch. Zum einen sorgen Elektroautos nur für eine unerhebliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes, solange sie nicht mit sauberem Strom betrieben werden. Zum anderen bleibt das Auto mit durchschnittlich 1,2 Insassen auch unabhängig vom Motor ein ineffizientes ­Verkehrsmittel.

 

Dabei bietet auch die Elektromobilität Chancen. Sinnvoll sind zum Beispiel die sogenannten Pedelecs, elektrogestützte Fahrräder. »Damit können wir Nichtfahrradfahrer abholen«, hofft Kleinmann. Verbunden mit Fahrradschnellstraßen, wie sie derzeit in Münster gebaut werden, könnten Pedelecs Alternativen für Pendler vom Stadtrand in die Innenstadt bieten.

 

Auch im ÖPNV könnte die Nutzung elektrischer Antriebe zukunftsweisend sein — in Form einer Renaissance von Oberleitungsbussen, den sogenannten Trolleybussen. Die meisten derzeitigen Modelle müssen mit umweltschädlichem Diesel betankt werden. »Diese Busse wären auch denkbar als Hybrid, damit sie in städtebaulich sensiblen Bereichen nicht an einer Oberleitung liegen müssen«, sagt Michael Glotz-Richter. Der 56-Jährige arbeitete in den 80er Jahren für die Stadt Köln, im Amt für Stadterneuerung.

 

Heute ist er Referent für Nachhaltige Mobilität in Bremen — und viel beschäftigt. Einer seiner Schwerpunkte ist Car-Sharing. Der Stadtstaat hat als bislang erste Stadt Deutschlands einen kommunalen Aktionsplan Car-Sharing. »Es wird vorerst weiterhin Autos geben. Bloß das eigene Auto wird zunehmend absurder. Ein Auto, das 45 Minuten am Tag von einer Person bedient wird, ist kein effizientes Verkehrsmittel.«

 

Mobilitätswandel braucht Bewusstseinsänderung

 

Die große Änderung muss im Nutzungsverhalten stattfinden. Vom strikt individuellen hin zum eher kollektiven Ansatz, sagt er. Das Auto auf Abruf wird auch in Köln rapide an Beliebtheit gewinnen, da ist sich Glotz-Richter sicher. »Gerade in Boom-Bezirken, wie Agnesviertel, Deutz oder Sülz.«

 

Der Mobilitätswandel ist für ihn auch eine Frage der Information. »Wir brauchen Hardware und Software, Infrastruktur und geistige Haltung gleichermaßen.« Wichtig wird daher die zukünftige Imagekampagne sein. »Da können wir von der Autoindustrie lernen«, sagt Glotz-Richter. »Die verkaufen keine Fortbewegungsmittel, sondern Lifestyle-Produkte.«

 

Auch Glotz-Richter hat einen Youtube-Kanal, unter anderem mit kreativen Vorschlägen, was man mit den vielen durch Car-Sharing gewonnen Parkplätzen machen könnte. Interessant in diesem Zusammenhang ist zudem das Projekt des Kölner Soziologen Davide Brocchi, der für 2013 die Einführung eines autofreien Sonntags in Köln vorschlägt, mit dem Ziel »der Vorbereitung der Stadtbevölkerung auf die kommenden Veränderungen«.

 

Was die Bewusstseinsänderung angeht, ist Glotz-Richter optimistisch. »In den Städten geht der Anteil der Führerscheininhaber unter den 18- bis 20-Jährigen zurück. Das ist ein Indikator«, glaubt Glotz-Richter. Als Statussymbole würden Autos unter anderem von IPods oder Smartphones abgelöst. Auch bei der älteren Generation sei eine Veränderung zu bemerken. »Die Betonköpfe sterben aus wie Dinosaurier«, so Glotz-Richter.

 

Ökonomischer Druck statt ökologischem Gewissen

 

Hansgeorg Kleinmann hält zu viel Optimismus für übertrieben. Die Autolobby arbeite sehr effektiv und bestimme auch zu großen Teilen die Stadtplanung. »Dagegen sind wir ganz kleine Lichter.« Hoffnungen setzt er eher in den ökonomischen Druck: »Der Benzinpreis schafft mehr als 1000 Appelle. Das geht über den Geldbeutel, nicht über ökologisches Gewissen«

 

Wie seine Vision der Stadt der Zukunft ausschaut, lässt sich jeden letzten Freitag im Monat bei der »Critical Mass« beobachten. Dann fahren möglichst viele Fahrradfahrer gemeinsam durch die Stadt. Eine Gruppe mit mehr als fünfzehn Teilnehmern darf laut Straßenverkehrsordnung eine komplette Spur besetzen. Dauerklingelnd und mit Trillerpfeifen nehmen sie sich den Raum, der ihnen nicht nur ihrer Meinung nach zusteht.