Jenseits der Krise
Als sich Motorpsycho im Herbst 1989 in Trondheim, einer kleinen norwegischen Industriestadt, gründeten, war die Welt musikalisch noch in Ordnung.
Bent Sæther, Hans Magnus »Snah« Ryan und Kjell Runar »Killer« Jenssen hatten bereits zuvor in lokalen Hardrock-Bands gespielt, und der beginnende Grunge-Boom war dabei, ein weltweites, neues Interesse an Gitarrenmusik auszulösen. Vor allem an jener Mischung aus Post-Punk, Metal und Psychedelic, mit der Motorpsycho damals durchzustarten begannen.
Die >>Krise der Rockmusik<<
Kaum eine Band von damals hat den Hype überlebt, und wenn, dann nur stark beschädigt, etwa im Fall von Pearl Jam, die schnell ins Lager der Stadionrocker ab- beziehungsweise aufgestiegen sind. Ganz anders im Fall von Motorpsycho: Trotz enormem Output hat sich die Band nicht nur die sprichwörtliche Integrität bewahrt, sondern ihren Stil immer weiter ausgefeilt und mit neuen Aspekten angereichert. Und dies, obwohl sie keine leichte Zeit hatten, schließlich ist in den 90er Jahren permanent von einer Krise der Rockmusik die Rede, was zeitweise geradezu einem Verdikt gleichkam: Wer noch immer auf matschige Fuzz-Gitarren stand, galt als rückwärts gewandt und uncool. Erst mit dem Erfolg der Strokes scheint sich dieses Klischee wieder in sein Gegenteil zu verkehren.
Zahlreiche Faktoren hatten zu Beginn der 90er dafür gesorgt, dass das Image von einer sich ständig selbst regenerierenden und im Underground-Gewand erneuernden Rockkultur zu einem Ende kam. Da war zum einen der rasante Absturz, den Grunge nach einem kurzen, massiven Hype erfahren hat, flankiert von den Hoffnungen, die viele in Technohouse setzten. Und da war – zumindest in Deutschland –der Schock, den Nazirock auslöste, einhergehend mit der Ernüchterung, dass selbst noch der ruppige Punk-Sound, dem man lange politische Immunität zugestanden hatte, von den Gegnern hat übernommen werden können.
Von Eindimensionalität zu Vielfältigkeit
Vor diesem Hintergrund hatte die Rede von der »Krise der Rockmusik« auch etwas Befreiendes. Es galt, alte und liebgewonnene Stereotypen neu zu überdenken. Auf breiter Ebene hat diese Diskussion eher wenig Wirkung gezeigt. Der Stadionrock von den Rolling Stones bis zu den Toten Hosen ist nach wie vor einer der einträglichsten Märkte der Musikindustrie. Im kleinen Segment all jener, die über Punk und Indie sozialisiert worden sind, fand jedoch eine Neuorientierung statt, die nicht unterschätzt werden sollte. Handelt es sich doch um ein Publikum, das nicht nur eine CD pro Monat kauft, sondern intensiv am Musikgeschehen teilnimmt. Dieses begann sich nun für neue musikalische Felder zu öffnen, für Elektronik ebenso wie für Improvisation oder Countryfolk. Dieses eklektizistische Hörverhalten schlug sich auch in einer neuen Generation von Musikern nieder: Rock hat seine Unschuld vielleicht endgültig verloren und schließlich auch seine Eindimensionalität. Insofern hatte das Krisenbewusstsein etwas Gutes: Es setzt kreative Kräfte frei, die formal stagnierte Rockmusik aus sich selbst heraus zu erneuern.
Die weitere Geschichte ist bekannt. Sie hat uns den nicht unbegründeten Hype um sogenannten Post-Rock beschert und zu neuen Formen einer Innerlichkeit geführt – Stichworte: Sigur Ròs, Radiohead, Kings Of Convenience.
Die Krise überwunden
So einzigartig und verschieden all diese Bands auch sein mögen, haben sie doch eines gemeinsam: Sie alle stammen aus einer klassischen Indie-Sozialisation und haben angefangen, den Rock strukturell aufzubrechen, sei es durch Elektronik, Jazz-Adaption oder Anleihen an die Neue Musik. Angesichts dieser Entwicklung macht es heute auch keinen Sinn mehr, von einer Krise zu sprechen. Den breitbeinigen, stereotypen Rock gibt es zwar nach wie vor, doch an seinen Rändern ist die Musik vielfältiger und vor allem gegenüber Klischees vorsichtiger denn je geworden.
Lust an Veränderung und Reflexion
Zwei europäische Bands, die in diesem Zusammenhang als konstante Selbsterneuerer genannt werden müssen, da sie mit dem Format Rockmusik stets reflektiert umgegangen sind: The Notwist aus Weilheim und Motorpsycho aus Trondheim. Zweimal Provinz. Zweimal unbeirrte Lust an der ständigen Veränderung. The Notwist sind nach zahlreichen stilistischen Wandlungen und sehr viel Feinschliff nicht ohne Grund zu Indie-, also auch zu Presse-Lieblingen geworden, deren filigrane Mischung aus kleinteiliger Elektronik und nur noch gedämpften Rock-Elementen die popmusikalische Entwicklung der letzten Jahre spiegelt. Ähnliches gilt für Motorpsycho, auch wenn sie nach wie vor zu Dampfhammer-Gitarren greifen und sich Black-Sabbath-Riffs bedienen. Auch sie sind aus der Debatte um die Rock-Krise gestärkt hervorgegangen, indem sie unbeirrt an Rock als musikalischer Plattform, aber nicht als Ideologie festhielten.
Inspirationsquellen
Motorpsycho haben sich nach einem der wenigen Russ-Meyer-Filme benannt, dessen Name noch nicht an eine Band vergeben war. »Mudhoney« und »Faster Pussycat« hatten bereits andere Bands aufgegriffen, wozu Motorpsycho lakonisch anmerkten: »Wir wollen nie so schlecht wie Faster Pussycat sein, aber eines Tages hoffentlich so gut wie Mudhoney.« Das sind sie längst. Ihre Referenzen an schmierigen Rock’n’Roll, angereichert mit Trance und driftendem Psychedelic-Sound im Stil von Hawkwind, haben sie längst um zahlreiche andere Einflüsse aufgefächert. Sie selbst nennen Motörhead, The Who, Led Zeppelin, Beatles, Sonic Youth, Sun Ra, John Coltrane, Bob Dylan, Beefheart, Kiss und King Crimson als Inspirationsquellen.
Mit Intensität und Verausgabung
Man könnte annehmen, dass eine solch disparate Liste nur den Zweck hat, die ständig gestellte Frage nach Einflüssen selbst zu verballhornen. Das ist aber nicht der Fall. Hört man sich die unzähligen Motorpsycho-Veröffentlichungen an (es vergeht kein Jahr, in dem sie nicht mindestens ein Album veröffentlichen, oft handelt es sich dabei um Doppel- und Dreifach-Vinyl), sind es genau diese Parameter, die auch in ihrer Musik auftauchen: Der Heavy-Rock von Motörhead gepaart mit den Prog-Elementen von King Crimson, der Blues von Captain Beefheart, die Begabung der Beatles für Pop-Ohrwürmer und die Lust, all das ständig mit atonalen Elementen zu durchbrechen. Im Mittelpunkt steht jedoch Intensität, hörbare Verausgabung, nicht die zurückhaltende Dekonstruktion, mit der Post-Rock immer wieder beschrieben wurde. Motorpsycho sind nicht Post-Rock, sondern eher Old-School-Rock unter postmodernen Vorzeichen.
»Unsere zahlreichen Einflüsse lassen sich auch in unserer Musik ablesen, aber wir benutzen sie nicht im Sinne von Cut-Up oder Collage«, erzählen Motorpsycho, »sondern auf die ganzen Alben und einzelnen Stücke verteilt. Uns ist schon wichtig, dass jede einzelne Nummer auch in sich geschlossen ist, also etwas aufbaut, Spannung und Dynamik besitzt. Als Gesamtes sind wir unberechenbar, in den einzelnen Nummern dagegen meistens stringent.«
Den eigenen Stil gefunden
Mit »Demon Box« (1993), ihrem dritten Album, gelang Motorpsycho auch außerhalb Norwegens der Durchbruch, wenn dieser Begriff denn überhaupt Sinn macht. In Norwegen sind es zwar EMI und später Sony gewesen, die ihre Platten veröffentlichten, doch zu einem klassischen Major-Act sind Motorpsycho nie geworden. Bis heute spielen sie in ausverkauften Clubs, aber eben bewusst lieber in Clubs, nicht in großen Konzerthallen. Zur Zeit von »Demon Box« erzählten Motorpsycho bereits, dass sie so etwas wie einen »eigenen Stil« ausgebaut hätten. »Es ist eine Art Nicht-Stil. Man erkennt unsere Musik immer wieder, aber jedes Stück baut auf einem anderen Teil der Musikgeschichte auf.«
Heute, nach einem Dutzend weiterer Platten, haben sich Motorpsycho als feste Größe etabliert, die bei aller Wandelbarkeit für Konstanz steht. Krisen nämlich sind hausgemacht und ziehen an guter Musik spurlos vorüber.
(alle Motorpsycho-Zitate stammen aus Interviews mit dem Autoren und von ihrer Homepage www.motorpsycho.fix.no)