Mission Selbstbewusstsein

Von 31. August bis 13. Oktober findet der Eröffnungszyklus der ersten Ruhrtriennale statt, der neu initiierten Festspielzeit im ganzen Ruhrgebiet. Rolf C. Hemke skizziert das Großprojekt als den Versuch von Landesregierung und Triennale-Chef Gérard Mortier, den angestrebten Strukturwandel der Region auch kulturell sichtbar zu machen.

»Deutschland, deine Lieder« werden am 31. August in der Essener Zeche Zollverein erklingen und die erste Ruhrtriennale eröffnen. In dieser »musiktheatralischen Reise«, so die Ankündigung, soll der Regisseur Matthias Hartmann, Intendant des Bochumer Schauspielhauses, zusammen mit dem Komponisten Parviz Mir-Ali »das deutsche Bohren nach dem nationalen und künstlerischen Selbst verfolgen«. Das hat allerdings nichts mit Heimwerkern zu tun, vielmehr soll »der reiche Fundus des deutschen Liedguts« vom Wanderlied über Schubert bis Rio Reiser oder Grönemeyer in Szene gesetzt werden. Das Szenario verfassen die beiden Erfolgsdramatiker Moritz Rinke und John von Düffel. Ob der Abend einen anderen Zweck haben wird als den der Publikumsumarmung und andere Qualitäten als die einer Schlagerparty für Fortgeschrittene, bleibt abzuwarten.
Also noch ein Festival für NRW? Ja und nein. Denn eigentlich ist die Ruhrtriennale viel weniger als ein Festival – oder eben mehr: Hartmanns Liederabend bildet den Auftakt zu einer Serie von sechs Eigenproduktionen, fünf Gastspielen und ein paar Konzerten, verteilt auf volle sechs Wochen. Schon im rein numerischen Vergleich zu den vier oder fünf Premieren pro Tag bei der Bonner Biennale oder dem Theater der Welt, den beiden Festivals, die in diesem Juni während jeweils zehn Tagen zum letzten respektive einzigen Mal auf der Rheinschiene stattfanden, zeigt sich der unterschiedliche Anspruch.

Drei-Jahres-Zyklen

Die Triennale findet nicht nur alle drei Jahre statt, wie es der Titel suggerieren könnte, sondern in Drei-Jahres-Zyklen (1. Ruhrtriennale 2002-2004, 2. Ruhrtriennale 2005-2007 usw.), die – nach dem Documenta-Prinzip – jeweils von wechselnden, internationalen Theaterpersönlichkeiten kuratiert werden sollen. Gründungsintendant ist der ehemalige Salzburger Festspielreformator und bereits designierte Pariser Opernchef Gérard Mortier. Jede Triennale untergliedert sich in mehrere Spielzeiten, bei der Eröffnungstriennale läuft die erste Spielzeit von August bis Oktober 2002, die zweite dann von April bis Juli 2003, weitere schließen sich an. Ein Programmschwerpunkt soll jeweils im zweiten Triennalejahr liegen.

Nachhaltig Potenziale ausschöpfen

Es geht Mortier bei seiner »Veranstaltungsreihe«, als die er die Ruhrtriennale bezeichnet, gerade nicht um das, was man neudeutsch als Event bezeichnet, einen Begriff, den er gern mit den Schlagworten »Konsum«- und »Wegwerfgesellschaft« in Verbindung bringt, sondern um ein Ereignis im ganz konventionellen Sinne des Wortes: um ein Erlebnis, das nachwirkt, den Alltag bereichert. Eine solche Nachhaltigkeit ist strukturell im Konzept der Triennale verankert: Denn wie schon die Eröffnungsproduktion mit Matthias Hartmann als Regisseur und dem Schauspiel Bochum als Koproduktionspartner nahe legt, will Mortier »die vorhandenen Potenziale ausschöpfen und die Funktion der Strukturen maximieren, um Produktionen zu ermöglichen, die sich die Theater vor Ort in ihrem normalen Repertoire nicht leisten könnten«.

Uraufführung des >>White Oak Dance Projects<<

Neben der Eröffnungsproduktion ist auch die Uraufführung der Choreografie des »White Oak Dance Project« von Richard Move mit dem großen russischen Solisten Mikhail Baryshnikov zur eigens von der isländischen Popdiva Björk komponierten Musik eine solche Koproduktion. Und zwar mit PACT, einem Zusammenschluss des vormaligen Choreografischen Zentrums Zeche Zollverein und des Projekts Tanzlandschaft Ruhr: Der mittlerweile 52jährige – aber physisch scheinbar nicht gealterte – Baryshnikov, verkörpert hierin in Anlehnung an mehrere mythologische Figuren einen »Helden mit tausend Gesichtern«, der, so die Ankündigung, »eine unendliche Reise durch surreale Szenarios, Charaktere und Symbole« unternimmt.
2003 stehen dann u.a. Koproduktionen mit Roberto Ciulli und seinem Theater an der Ruhr und dem scheidenden Intendanten Hansgünther Heyme und seinen altehrwürdigen Ruhrfestspielen auf dem Programm, bevor dann mit dessen Weggang die Intendanz dieses Festivals in jener der Triennale aufgehen wird. Das Ruhrfestspielhaus soll dann einer der zentralen Veranstaltungsorte der Triennale werden.

Die Triennale als Strukturhilfe

Diese Pläne weisen schon daraufhin, dass die Triennale viel breiter wirken soll als ein Festival, das in zehn Tagen oder zwei Wochen vorüberzieht. Sie ist eine Festspielzeit, die zumindest auch eine Strukturhilfe für die von Finanzsorgen geplagten kulturellen Ruhrinstitutionen darstellen wird. Mit dieser Ausrichtung begegnen Mortier und sein Finanzier, NRWKulturminister Michael Vesper, natürlich auch den Kritikern, die zunächst nicht ganz zu Unrecht forderten, dass die 41 Millionen Euro Landesmittel, die das Projekt allein in den ersten drei Jahren verschlingt, besser direkt den einzelnen notleidenden Bühnen zur Verfügung gestellt würden.

Befürchtungen der Kritiker

Über den Umweg eines Festivals aber gerät das Land nun den einzelnen Institutionen gegenüber nicht in weitere finanzielle Verpflichtungen, hat Verteilungskämpfe vermieden. Gleichzeitig können die Institutionen besser gestellt werden, die insofern als besonders förderungswürdig erachtet werden, als sie bei Koproduktionen berücksichtigt werden, andere dafür nicht. Dank der Triennalegelder können sich beispielsweise die Mühlheimer Theatertage nun künftig auch die Vergabe von Auftragsstücken leisten, kann das kleine, aber hochfeine, bislang nur alle zwei Jahre ausgetragene Bochumer Festival »Figurentheater der Nationen« alljährlich stattfinden.
Doch entspricht es dem politischen Willen, dass die Triennale auch Aspekte des Alltags im Ruhrgebiet verändern soll, als Symbol für den Strukturwandel, den man natürlich gerne auch ins überregionale und internationale Bewusstsein dringen lassen will. Diese Intention lässt sich schon an den Veranstaltungsorten ablesen: Neben den bereits erwähnten sind das u.a. die Kraftzentrale und Gebläsehalle des ehemaligen Stahlwerks, des heutigen Landschaftsparks Duisburg Nord, das Amphitheater auf der Halde Haniel in Bottrop, die Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck und das Hüttenwerk Phönix West in Dortmund, die Jahrhunderthalle in Bochum und der Gasometer in Oberhausen.
Das immense Budget der Triennale erklärt sich zumindest zum Teil auch daraus, dass diese alten Industrieorte für kulturelle Zwecke erst einmal infrastrukturell hergerichtet werden müssen. So reizvoll sich diese Spielorte dann auch gestalten mögen, liegt hier sicherlich auch die Gefahr, dass diese Industrielandschaft als reines Ambiente, als Schlösser und Burgen des 20. Jahrhunderts eingesetzt werden. Mortier will diesem Problem insbesondere inhaltlich begegnen: »Man muss sich fragen, welche Bedeutung diese Landschaft im und für das 20. Jahrhundert gehabt hat«, sagt der Gründungsintendant. Die Produktionen der Triennale begreife er in der Tradition dieser Industrielandschaft und frage zugleich, »was man künstlerisch dagegenstellen kann.«
Der Blick auf die eigene Historie soll sich durch den Blick auf die Industriebauten als lebendige, bespielte Kulturdenkmäler wandeln. »Das Selbstbewusstsein der Leute im Ruhrgebiet beschränkt sich eigentlich auf den Fußball«, behauptet Mortier. »Die Triennale ist der Versuch, dieser Region kulturell ein neues Gesicht zu geben.« Dem Zuschauer will Mortier dies über die Aufführungen vermitteln. Aber auch schon im Vorfeld sucht er nach geeigneten Mitteln: »Ich muss versuchen, die Sensibilität meiner Zuschauer zu berühren. Zum Beispiel sehen sie auf dem Bildmaterial, mit dem wir werben, keine Industriebauten. Diese Fotografien zeigen alte Interieurs von Arbeiterwohnungen. Die Fotografie von einem alten Radio birgt einen Wiedererkennungseffekt in einem neuen Kontext.« Schon beim zweiten Hinschauen, meint der Festivalmanager, sei der erste Schritt zur Verführung gelungen.
Wenn auch die Bilder des Fotografen Jörg Sasse diesen Anspruch einlösen, so bleibt dies zunächst doch nur ein Werbeversprechen.

Die Fotografien von Jörg Sasse und alle Reservierungs- und Programminformationen im Internet unter www.ruhrtriennale.de. Servicetelefon: 0201/ 8872024; Hotline: 0700/20 023 456
1.Ruhrtriennale, Herbstsaison 31.8. – 13.10.2002, Spielorte: Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gladbeck, Hamm, Mülheim a.d.R., Recklinghausen.