Duck auf!
Hoher Besuch in der Kneipe »Weißer Holunder«. Die Präsidente ist da, das donaldistische Oberhaupt Deutschlands. Ehrfürchtig stehen rund zehn Männer mit Donald-Duck-Buttons stramm und singen feierlich ihre Hymne: »Und lieg ich dereinst in der Bahre, so denkt auch an meine Gui-tah-re, und legt sie mir mit in mein Gra-hab.« Danach Applaus, allerdings nicht auf die herkömmliche Art: Bei den Donaldisten wird nicht geklatscht. Stattdessen skandieren alle »Klatsch,?Klatsch,?Klatsch«.
Seit fünf Jahren treffen sich auch in Köln Donaldisten jeden Monat zum Stammtisch. Jan Landmann ist einer der Gründer. »Eine Leidenschaft für Comics hatte ich schon immer. Aber irgendwann hat mir das Lesen alleine nicht mehr gereicht. Ich wollte mich auch inhaltlich damit auseinandersetzen.«
In diesem Jahr wird den Kölnern eine besondere Ehre zuteil. Sie richten das traditionelle Mairennen aus. Dahinter verbirgt sich eine Art Schnitzeljagd für Erwachsene, bei der allerhand Geschicklichkeitsspiele und Rätsel auf dem Programm stehen. Unbedingt notwendig: Spezielles Hintergrundwissen über Entenhausen. Den idealen Ort für das Mairennen haben die Kölner schon
gefunden — Duckterath bei Bergisch-Gladbach.
Gelebter und wissenschaftlicher Donaldismus
Seit nunmehr 35 Jahren gibt es die »Deutsche Organisation der nichtkommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus«, kurz DONALD. Eine Mischung aus angewandtem Nerdtum, Abenteuerspielplatz für Erwachsene und dadaistisch-anarchistischem Spaß.
Neben dem gelebten Donaldismus gibt es noch die zweite Säule: den wissenschaftlichen Donaldismus. Der ist zum einen Persiflage auf den Wissenschaftsbetrieb, vor allem aber auch methodisch seriös betriebene Forschung. »Es gibt sehr viele Akademiker bei uns. Vom Atomphysiker bis zur Diplom-Psychologin haben wir alles dabei«, erklärt Rainer Bechtel, im Nebenberuf Vermessungstechniker.
Auch Journalisten haben sie in ihren Reihen: Über den Fall zweier Redakteure, die über mehrere Jahre Zitate aus Donald-Duck-Heften in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unterbrachten, wurde sogar in England berichtet.
Die donaldistischen Wissenschaftler beackern alle nur erdenklichen Felder. Gründer und Klimaforscher Hans von Storch hatte 1977 die Frage nach der Wirkung der thermodynamischen Gesetze in Entenhausen gestellt und damit die Richtung vorgegeben.
Nur Originale gelten
Auf den jährlichen Kongressen und im regelmäßig erscheinenden Zentralorgan »Der Donaldist« gibt es Arbeiten zu bestaunen wie »Die Auswirkungen des Permutations-Syndroms auf die Lebensqualität in Entenhausen«, »Physikalische, anatomische und soziokulturelle Grundlagen der Entenhausener Psychoakustik« oder »General Theory of Money Circulation, Materialism and Greed«.
Wie es sich für Wissenschaftler gehört, ist die Primärquelle entscheidend. Und da sind die Donaldisten pedantisch — keine »Lustigen Taschenbücher« oder dergleichen, lediglich die Original-Comics des US-Amerikaners Carl Barks, der bis Mitte der 60er Jahre rund 700 Geschichten zeichnete, sind zulässig. »Das ist unser Duckma«, erklärt Bechtel. »Sonst könnte ja jeder kommen, und sich sein Entenhausen zeichnen, wie er will.«
Mindestens genau so wichtig ist Erika Fuchs, die bis Ende der 80er Jahre Barks-Comics übertrug. Die deutschen Übersetzungen der promovierten Kunsthistorikerin enthalten — anders als die englischen Vorlagen — zahllose literarische Anspielungen. Durch sie galten die Geschichten zudem als politisch links und sozialkritisch, die sprechenden Enten wurden so zu Helden der 68er. Angeblich soll sogar Max Horkheimer Donald-Duck-Fan gewesen sein.
Alles ist donaldistisch, irgendwie
Für Rainer Bechtel keine Überraschung: »Donaldist ist jeder. Die Frage ist nur, ob und wann man die Erkenntnis erlangt.« Momentan gibt es mehr als
800 Mitglieder — so viele wie noch nie. Und doch sind die Donaldisten vom Aussterben bedroht. »Ich bin einer der jüngsten. Die DONALD altert immer weiter«, sagt Präsidente Uwe Lambach, im Nebenberuf Pilot. »Die Jugendlichen lesen die Comics nicht mehr. Wenn das so weiter geht, sind wir in 50 Jahren auf der Müllhalde der Kulturgeschichte gelandet.«
Lambach will die Beschäftigung mit Entenhausen in Schulen und an Universitäten einführen. Dass die Forschung sinnvoll ist, steht für ihn außer Frage: »Donaldismus ist dem heutigen Leben wesentlich näher als zum Beispiel Ägyptologie. Die ist unserem Leben ferner als Entenhausen«, so Lambach.
Die gute Nachricht ist: wirklich Angst vor dem Ende hat hier niemand. Schließlich lieben sie ihren namens-gebenden Helden als Archetypus des Scheiterns, als einen Sisyphos des 20. Jahrhunderts. »Er fällt hin, steht wieder auf, und fällt dann trotzdem wieder hin«, erklärt Landmann. So gesehen wäre auch das Scheitern des Donaldismus absolut donaldistisch.