Shahin Najafi: Überleben gegen den Wahnsinn
Kritik am politischen Regime gibt es im Iran nicht erst seit gestern. Die Verhöhnung von religiösen Würdenträgern hat eine lange Tradition und gehört unter Intellektuellen und großen Teilen der iranischen Gesellschaft quasi zum guten Ton. Einen der zwölf Imame anzurufen und zu sagen »Hey du, komm her und mach mal Ordnung!« ist jedoch ungewöhnlich.
Geistreiche Respektlosigkeit
Die Klagen Shahin Najafis über macht- und geldhungrige Mullahs und kleinoperierte Frauennasen sind auch in der Islamischen Republik noch keine Fatwa wert. Seine Respektlosigkeit schon. In »Naghi« bittet er den zehnten Imam, außer der Reihe aufzutauchen da der eigentliche Messias, der zwölfte Imam Mahdi anscheinend ein großes Schlafbedürfnis hat und noch pennt. Ein geistreicher Rahmen, typisch für viele seiner Songs. In denen geht es um korrupte Politiker, einen Gott, der nur im Buche barmherzig ist, Sex und Rauschzustände.
Najafis Blick ist der eines Außenstehenden, nicht erst seitdem er den Iran 2005 verlassen hat – damals drohten ihm drei Jahre Gefängnis und hundert Peitschenhiebe. In seiner Heimat Gilan im Norden des Iran gab er Konzerte und arbeitete mit befreundeten Musikern im Studio, manchmal trat er auch in Teheran auf. Nach einem Konzert war es dann vorbei. Er floh nach Deutschland, von Düren aus kam er nach Köln.
Leben im Exil
Sein inneres Exil, der Schmerz, der ihn mit der iranischen Gesellschaft verbindet, war immer schon Quelle seiner Texte. Es habe ihn oft gewundert, dass seine Texte, die doch aus der Sicht eines Outsiders geschrieben seien, so viele Leute angesprochen hätten, sagt Najafi im Interview. Sein Blick auf den Iran hat sich auch in der Diaspora nicht verändert. Er pflegt den Kontakt zu iranischen Freunden, Musikern und Dichtern und verbringt täglich fünf bis sechs Stunden online. Ohnehin bedeutet das Arbeiten für Künstler im Iran ein Dasein in der kulturellen Abgeschiedenheit. Die Diaspora ist im Iran, der Iran liegt im Exil.
Und Shahin Najafi lebt sein Exil in seiner Musik. Am 8. Mai wurde dann aber alles anders, als er im Netz eine Kopfgeldausschreibung auf sich entdeckte. Noch nachts ging er mit Freunden zur Polizei, um Personenschutz zu beantragen. Das Scherzhafte, das die Fatwas zunächst für ihn hatten, war auf einmal weg. Jetzt versucht er, sich nicht verrückt zu machen, schreibt, macht Musik, treibt Sport.
Manche Dinge sieht er aus der geographischen Distanz allerdings doch anders: »Im Iran hatte ich das Gefühl, ein Revolutionär zu sein. An der Uni sind meine Freunde und ich immer aufgefallen wegen unserer Klamotten und unseres Verhaltens. Erst im Ausland hab ich gemerkt, dass ich eigentlich ein ganz normaler Typ bin«, sagte er der BBC.
Erkenntnisse aus der Distanz
Seine Texte sind politisch, ohne eine bestimmte Partei zu ergreifen, dabei immer persönlich. In Deutschland viel ihm auf, wie patriarchal geprägt sein Verhältnis zu seinen Schwestern und seiner Freundin eigentlich gewesen ist. Aus diesen Gedanken entstand der Song »Ma Mard nistim« (»Wir sind keine Männer«), eine Hommage an die iranischen Frauen: »Du riechst nach Ohrfeige und Peitsche, Frau/ wie lange willst du den Männern gehorchen, Frau/ wir sind durch unsere Männlichkeit gestorben, sei wenigstens du eine Frau/ benetze uns mit dem Duft deiner Entschlossenheit«.
Die Entschlossenheit der Frauen im Kampf gegen das Regime in Teheran ist auch eine treibende Kraft bei den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen 2009 gewesen. »Ich war wie alle anderen elektrisiert und voller Hoffnung. Aber während der brutalen Niederschlagung der Menschen dann voller Trauer. Daraus sind auch einige meine Songs entstanden« erzählt Najafi. »Ma Mard nistim« nahm er mit der Formation Tapesh 2012 auf, mit der bis vor kurzem auch viel tourte. Der Song wurde zum Soundtrack der »grünen Revolution«, das Youtube-Video erzielte innerhalb kurzer Zeit mehrere hunderttausend Klicks.
Das im Februar erschienene Album des 31-Jährigen »Hich Hich Hich« (»Nichts Nichts Nichts«) ist sein viertes Solo-Album. Es gibt es ausschließlich als MP3 zu kaufen. Exil-Kultur eben. Auf »Hich Hich Hich« rappt und singt Najafi, mal zu seiner akkustischen Gitarre, mal zu Beats, die an alte IAM-Songs erinnern. Aber stets mit deutlich hörbarem Einfluss persischer Musik. Nicht dem des persischen Konserventrash-Pop made in california, eher klassisch persischer Musik und Chansons. »Ich habe im Iran mit Flamenco und klassischer Gitarre angefangen und mich dann mit Rock, Blues und Jazz beschäftigt« sagt Najafi. Musikalische Vorbilder? »Eigentlich keine. Jim Morrison und Kurt Cobain waren tolle Songwriter.«
Rap und Gesang zu Pop und persischem Chanson
Wenn Najafi singt, klingt das nach eingängigem, manchmal blueslastigem Pop, wenn er rappt ist das tief und wütend. Naheliegend, dass er in der deutschen Presse als »iranischer Rapper« bezeichnet wird. Umso verwunderlicher wenn er dann mal dazu kommt, sich selbst zu erklären: »Ich habe im Iran sehr selten oder eher nie Rapmusik gehört. Sie müssen wissen, dass ich kein Rapper bin. Ich habe diese Musik hier in Deutschland als eine simple aber direkte Sprache entdeckt. Außerdem ist Rapmusik einfacher zu produzieren, als Rock, Blues oder Jazz.«
Tiefstapelei wie es scheint, denn sein Rap klingt, als hätte er nie etwas anderes gemacht. So einnehmend wie sein Sprechgesang sind auch seine Texte, poetisch und dreckig zugleich, in »Ranandegi dar masti« (»Trunkenes Fahren«) will Najafi so betrunken sein wie eine Flasche Wein, die dann zum Molli wird.
Für viele seiner Fans ist Najafi wahrscheinlich so etwas wie ein Märtyrer, er weigert sich aber, die ihm aufgezwungene Passivität anzunehmen. Viele Jahre versteckt zu leben, kann er sich nicht vorstellen. Gerade arbeitet er an einem englischen Stück, er will in den USA auf Tour gehen. »Danach hoffe ich, dass ich eine Tour durch Europa machen kann.«