Foto: Manfred Wegener

»Es gibt kein Patentrezept«

Ein Gespräch mit Daniela Michalski und Gregor Jekel vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) über öffentlichen Raum, Platzverbote und private Interessen

StadtRevue: Frau Michalski, Herr Jekel, in Köln haben wir seit fünf ­Jahren teilweise heftigen Streit um den Brüsseler Platz. In Berlin gab es ähnliche Diskussionen um die Admirals­brücke. Wie haben sich städtische Plätze in den ver­gangenen Jahren verändert?

 

Daniela Michalski: In den 70er Jahren waren Plätze oft bloße Restflächen oder Abstandsgrün zwischen Gebäuden. Das waren übrig gebliebene Freiräume. Heute gewinnt der urbane Raum in der Freizeitgestaltung immer mehr an Bedeutung. Die Gründe sind vielfältig: Die Arbeitswelt hat sich grundlegend geändert, wir haben nicht mehr den klassischen Nine-to-Five-Job. Vieles findet heute im öffentlichen Raum statt. So kann man beispielsweise draußen telefo­nieren oder mit dem Laptop arbeiten. Zudem haben Single-Haushalte stark zu­genommen. Dadurch ist der Bedarf gewachsen, nicht nur zu Hause zu regenerieren, sondern auch im öffentlichen Raum.

 

Eine Entwicklung vom privaten zum öffentlichen Raum?

 

Michalski: Auf jeden Fall! Die Grenzen zwischen privat und öffentlich verschwimmen immer mehr. Aber eine Nutzung wie am Brüsseler Platz ist kein neues Phänomen. Das Be­dürfnis, öffentliche, günstige Räume zu nutzen, gibt es schon länger. Insbesondere junge Menschen suchen Alter­nativen zu herkömmlichen Freizeitangeboten.

 

Kann man da von einer Rückeroberung, einem »Reclaiming« des öffentlichen Raums sprechen?

 

Michalski: Man sollte das nicht überhöhen. Natürlich kann man argumentieren, dass es politisch ist, sich im öffentlichen Raum zu treffen, statt kommerzielle Angebote wahrzunehmen. Das ist aber nur eine zaghafte politische Haltung, die den allermeisten nicht bewusst ist.

 

Gregor Jekel: Es hat sich zwar eine politische Diskussion entfacht, aber die Veranstaltungen selber sind ja völlig ­unpolitisch. In Frank­furt gab es eine Zeit lang mal regel­mäßig Nachttanz-Demos?…

 

...?die haben wir in Köln auch?...

 

Jekel: Die Demos waren gegen die Schließung von Clubs zu einer bestimmten Uhrzeit gerichtet. Da wurde feiernd durch die Straßen gezogen und zugleich tatsächlich protestiert. Da kann man von »Reclaiming« sprechen. Aber nicht, wenn sich Leute zum Biertrinken auf dem Platz verabreden.

 

Wie sollte man mit Konflikten wie dem am Brüsseler Platz umgehen?

 

Michalski: Es muss vor allem eine breite Sensibilisierung statt­finden, unter Beteiligung vieler Nutzergruppen. In Berlin lässt sich das sehr schön am Tiergarten zeigen. Dort gibt es zum einen Konflikte zwischen Fußgängern und Fahrradfahrern, zum anderen die Grillproblematik. Dort werden regelmäßig »Tiergarten-Dialoge« veranstaltet. Da wird dann in Filmen und Vorträgen die Bedeutung des Tiergartens vorgestellt, und über dessen Zukunft diskutiert. Das ist ein gutes Angebot, aber natürlich kein Patentrezept.

 

Am Brüsseler Platz fordern Anwohner Alkohol- oder ­Platzverbote. Ist das sinnvoll?

 

Jekel: Das ist zum einen schwer durchzusetzen und wird zum anderen nur zu einer Verlagerung führen. Im Tiergarten wurde auch ein Grillverbot verhängt — seither wird verstärkt in Parks in der Innenstadt gegrillt. Außerdem: Wenn es ­Konjunkturen für bestimmte Orte in der Stadt gibt, wie im Falle des Brüsseler Platzes, sind die Auseinandersetzungen dort ja ein endliches Problem. Man sollte eher neue An­gebote schaffen, wo sich so ein Ereignis im Falle einer Verlagerung dann ansiedeln kann.

 

Michalski: Man kann dem Thema auch positiv begegnen. In Hamburg wird in einem innerstädtischen Quartier der Straßen­raum zu bestimmten Zeiten für den Verkehr gesperrt und für die Anwohner freigegeben, zum Picknicken oder Feiern. Damit die Anwohner punktuell das Gefühl haben: »Jetzt ist das wieder unser Raum.« Wenn man zumindest punktuell über den öffentlichen Raum in seiner Nachbarschaft verfügen kann, führt das zu mehr Akzeptanz anderer Nutzergruppen.

 

Können Sie die Aufregung um die Admiralsbrücke in Berlin oder den Brüsseler Platz persönlich verstehen?

 

Jekel: Nur bedingt. Ich wohne selbst in einem innerstädtischen Quartier in Berlin. Da ist es häufig laut. Ich muss das aushalten können, weil es für mich zum städtischen Leben gehört, und weil ich andere Probleme als dringender erachte. Öffentlicher Raum meint ja nicht nur Plätze, auf denen gefeiert wird, sondern auch Straßen. Der Konflikt zwischen Verkehr — vor allem Autoverkehr — und allen anderen Nutzungen ist meiner Meinung nach der größere.

 

Also ist die Auseinandersetzung auch ein bisschen Hysterie?

 

Jekel: Ich würde nicht mit Platzverboten arbeiten. Man muss das auch kritisch sehen: Es geht um private Interessen der Anwohner, die den öffentlichen Raum potenziell einschränken. Das öffentliche Interesse, den Raum zu nutzen, darf durch private Interessen aber nicht zu stark eingeschränkt werden. Zumal auch finanzielle Aspekte hinter solch einem Konflikt stehen können. Mitunter werden Einschränkungen im öffentlichen Raum gefordert, weil Anwohner Angst haben, dass ihre Eigentumswohnung weniger wert sein könnte, wenn da ständig vor der Tür gefeiert wird oder ein Club unten im Haus ist. Das führt dazu, dass Leute mit Klagen drohen. Die wollen eben nicht nur nachts ruhig schlafen, sondern auch keinen Verlust, wenn sie die Eigentumswohnung verkaufen.

 

Sind die Probleme der Anwohner am Brüsseler Platz also ein Luxusproblem?

 

Jekel: Nein, es kann ja auch zu gesundheitlichen Problemen führen, wenn man nachts nicht mehr schlafen kann. Es ist aber zu hinterfragen, ob man alle Störfaktoren gleich wertet. Es gab in Berlin mal einen Bürgerentscheid, da hat sich die Mehrheit der Teilnehmer für den Erhalt des Tempelhofer Flughafens ausgesprochen, eines Flughafens mitten in der Stadt. Eine Zweidrittelmehrheit fand das Lärmproblem nicht so wichtig, wie die Tatsache, dass wir diesen Flughafen erhalten. Der Entscheid ist damals an zu geringer Beteiligung gescheitert, zeigt aber trotzdem: Es wird nicht immer mit gleichem Maßstab gemessen. Manche Dinge kochen emotional hoch, ohne dass das dahinter liegende Problem so groß ist. Man muss bei solchen Konflikten immer schauen: Wird das nicht zu konfrontativ aufbereitet, geht man auf alle Meinungen ein, schätzt man die Relevanz richtig ein?