Mit einer Hand im Himmel
»Nach dem Börsencrash habe ich Angst bekommen und mir einige Mehr-Generationen-Häuser angesehen. Aber erst bei den Beginen hat es gefunkt.« Christine Müthrath hatte von der Gemeinschaft von einer Bekannten erfahren. Heute ist die 63-Jährige Vorsitzende der Kölner Beginen.
Mitte September wurde in Widdersdorf der Grundstein für einen modernen Beginenhof gelegt, es ist der zehnte in Deutschland. Weitere Höfe werden derzeit gebaut. In Köln haben die Beginen eine lange Tradition. Im Mittelalter leben Beginen in mehr als 170 Gemeinschaften zusammen und engagieren sich: von der Krankenpflege bis zur Sterbebegleitung. Sie sind christlich, weiblich und wollen nicht heiraten.
Seit den 80er Jahren entstehen in deutschen Großstädten wieder Beginen-Vereine, in denen Buddhistinnen, Schamanistinnen und Frauen mit anderen spirituellen Vorstellungen allerdings ebenso willkommen sind wie Christinnen. Diese Vorstellungen sind der zukünftigen Mieterin des Kölner Beginenhofes, Eva Stegemann, besonders wichtig: »Ich komme aus einer Frauenbewegung und hatte immer den Wunsch, mit spirituellen Frauen gemeinschaftlich zu leben. Das war im Grunde ein Traum.« Mit 74 Jahren ist sie die Älteste der Mieterinnen.
Bis Herbst nächsten Jahres entstehen auf knapp 2500 Quadratmetern 27 Wohnungen, teils sozial gefördert, teils frei finanziert. Alle Wohnungen sind bereits vergeben. Viele Beginen sind geschieden oder verwitwet und im Ruhestand. Christine Müthrath ist fest davon überzeugt, dass sich die Wohnform der Beginenhöfe weiter ausbreiten wird. »Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern. Da steht bald auch günstiger Wohnraum zur Verfügung«, ergänzt sie.
Neben Veranstaltungsräumen werden im Widdersdorfer Beginenhof ein Atelier, ein Werkraum und ein Meditationsraum eingerichtet. Wie ihr Alltag dort konkret aussehen wird, wissen die Frauen noch nicht. Nach dem Einzug werden sie gemeinsam überlegen, wo Beginen gebraucht und wie sie ihrem gesellschaftspolitischen Anspruch gerecht werden können. Sie wollen »Individualität in der Gemeinschaft«, wie ein Grundsatz lautet.
Warum die Idee derzeit wieder aktuell ist, kann Christine Müthrath erklären: »Wir leben in einer Übergangszeit. Die Gesellschaft verlangt neue Werte, es gibt eine große Aufbruchsstimmung.« Die Frauen haben Spaß an der ehrenamtlichen Arbeit in der Genossenschaft: »Unser Slogan ist: Mit beiden Füßen auf der Erde und einer Hand im Himmel. Und so ist es auch. Wir sind realitätssicher, engagiert, praktisch veranlagt. Ist schon fantastisch«, sagt Eva Stegemann.