»Wir brauchen neue Allianzen«
Herr Brocchi, sie planen für September 2013 den ersten »Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit«. Sind Sie optimistisch, dass es klappt?
Die Unterstützung von unten kam sehr schnell in den vergangenen Monaten. Mittlerweile sind rund 50 Organisationen und Initiativen Teil des Unterstützerkreises, vom BUND Köln über das Kunsthaus Rhenania bis zum
Odonien.
Verfolgt man die Diskussionen der Kölner und bundesweiten Politik, scheint es aber vor allem darum zu gehen, wie wir auch in der anstehenden postfossilen Zeit so mobil bleiben können wie heute...
Es klafft eine große Lücke zwischen den Diskussionen in Verwaltung und Politik einerseits und den Erkenntnissen der Forschung andererseits. Die entscheidende Frage ist: Wollen wir uns auf diesen Wandel, der sowieso stattfinden wird, vorbereiten, oder wird es irgendwann zur Krise kommen?
Was wäre diese Krise?
Was passieren kann, lässt sich am Beispiel meines Heimatlandes Italien absehen. Im März stiegen dort die Benzinpreise. Plötzlich kostete der Liter zwei Euro. Viele konnten sich die Autofahrt zur Arbeit nicht mehr leisten. Bis Ende des Monats hatte die Zahl der Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel in Großstädten wie Rom und Mailand um 30 Prozent zugenommen. Das hat fast zu einem Kollaps der ÖPNV-Infrastruktur geführt. In Köln bekäme die KVB schon Probleme, wenn die Zahl der Fahrgäste in den Spitzenzeiten um fünf Prozent zunähme. Hinzu kommt die soziale Ungleichheit: Wenn sich nur eine bestimmte Schicht das Autofahren leisten kann, kann das zu Konflikten führen.
Was soll denn am »Sonntag der Nachhaltigkeit« alles passieren?
Die Umweltzone in der Innenstadt soll autofrei sein, das ist das zentrale Ziel. Den öffentlichen Raum wollen wir den Menschen zur Verfügung stellen. Dort wären zum Beispiel Straßenmärkte mit Landwirten aus der Region vorstellbar. Auch das spielt ja eine wichtige Rolle: Vor dem Hintergrund von Peak Oil müssen wir die Nahrungsmittelproduktion weiter regionalisieren. Allgemein soll dieser Tag Raum für Gemeinschaftsleben sein, für politische Debatten und Vorträge. Und die öffentlichen Verkehrsmittel sollen an diesem Tag kostenlos sein.
Was sagt die KVB dazu?
Die berechnen gerade, was das kosten würde.Klar, die Unterstützung ist erst mal ideell. Aber es ist nicht unrealistisch, denn im September findet die Europäische Woche der Mobilität statt. Die KVB will sich da auch profilieren.
Laut Ihres Entwurfs geht es »um eine Vorbereitung der Stadtbevölkerung auf die kommenden Veränderungen«. Man muss also die Menschen darauf vorbereiten, dass die Zukunft mit Verzicht zu tun hat, gerade bei der Mobilität?
Man muss auf etwas verzichten, aber man gewinnt Lebensqualität. Viele freuen sich vielleicht erst mal, dass es einen Tag ruhiger unter dem Fenster ist. Und es geht um eine Wiederentdeckung des öffentlichen Raums, der immer stärker privatisiert wird. Auch Partizipation spielt eine Rolle. Und beim Stichwort Mobilität denkt man individualisierte Lebensstile, das hört sich wie Freiheit an. Aber wenn wir uns die Arbeitsverhältnisse anschauen, ist unser Leben eher fremdbestimmt. Mobilität ist Kompensation: Wir dürfen für ein paar Wochen auf die Malediven fliegen, um das zu kompensieren, was wir sonst hier nicht mehr erleben.
Wie kann es gelingen, den »Sonntag der Nachhaltigkeit« über das Symbolische hinaus zu etablieren? Dass nicht Menschen, die am Sonntag dabei sind, am Montag doch wieder über Tempolimits in der Innenstadt schimpfen?
Klar ist so ein Autofreier Sonntag erst mal ein Event. Man beruhigt einen Tag lang sein ökologisches Gewissen, dann macht man so weiter wie bisher. Wir benötigen eine umfangreiche Transformation der Stadt, und dieser »Sonntag der Nachhaltigkeit« soll dabei als Taktgeber dienen. Es soll jedes Jahr einen Schwerpunkt geben, im ersten Mobilität, im zweiten vielleicht Energie. Klar, wird das interessant, wie die Menschen das annehmen. Das ist ein Experiment, keine Frage.
Was ist mit den städtischen Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung?
Ich habe das Projekt bei der Bezirksvertretung Innenstadt vorgestellt, dort wurde es positiv aufgenommen. Die Reaktionen der Parteien allgemein waren unterschiedlich: Da gab es auch die Aussage, man dürfe die Bürger nicht überfordern, indem man die ganze Innenstadt sperrt. Nach dem Motto: ›Vielleicht fangen wir mal mit einer Straße an.‹ Umgekehrt gibt es aber auch Menschen in der Verwaltung, die sagen: Gut so, wir brauchen mehr Druck von außen, hier drinnen können wir nicht so viel verändern.
Also, noch mal: Sind Sie optimistisch, dass es 2013 einen Sonntag der Nachhaltigkeit geben wird?
Wahrscheinlich wird der erste Autofreie Sonntag nicht in der Innenstadt stattfinden, wie ursprünglich geplant. Der Stadtrat wird sich in diesem Jahr wohl nicht mit dem Thema befassen. Deswegen arbeiten wir mit einem Plan B: Ehrenfeld. Bezirksbürgermeister Josef Wirges steht dem Vorhaben sehr positiv gegenüber. In Ehrenfeld leben viele Kreative, das schafft ein offeneres Umfeld. Und wenn das Pilotprojekt in Ehrenfeld stattfindet, können wir ja immer noch die U-Bahn-Stationen im ganzen Stadtgebiet nutzen, für Ausstellungen, Konzerte, Debatten. Wenn wir schon nicht die Innenstadt oben haben dürfen, dann zumindest den unteren Teil.
Wie wird die Finanzierung laufen?
Die Bundesumweltstiftung und die Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW haben schon Bereitschaft gezeigt, uns zu unterstützen. Mittelfristig können vielleicht die Bürger selbst die Transformation der Stadt tragen. Wenn die Hälfte der Kölner pro Jahr zwei Euro gäben, hätten wir eine Million. Zumal die Bürger ja so-wieso eine wichtige Rolle spielen. Wir wollen eine Art Parlament gründen. Beim ersten Netzwerktreffen des Unterstützerkreises haben wir einen Beirat gewählt, das ist der Anfang dieses Parlaments. Wir stellen schon früh fest, dass es nicht einfach ist, zum Beispiel Umwelt- und Kulturinitiativen gemeinsam an einem Projekt zu beteiligen. Das fängt schon bei der Namensgebung an: »Sonntag der Nachhaltigkeit« oder »Tag des guten Lebens«? Aber es können nicht ewig alle unter sich bleiben. Wir brauchen neue Allianzen.
Ihre Prognose: Wie schaut die Stadt im Jahr 2030 aus?
Es wird freiere Räume geben, weil das Teilen immer wichtiger wird im Vergleich zum privaten Besitz: Fahrgemeinschaften, Car-Sharing, öffentliche Verkehrsmittel. Meine große Hoffnung ist, dass wir den Wandel kulturell vorantreiben, und dass er nicht durch Konflikte und Notstand erzwungen wird.
Davide Brocchi wurde 1969 geboren und hat in Bologna Sozialwissenschaften
studiert. Seit 1992 lebt er in Deutschland und seit 2005 in Köln. Er unterrichtet an der Universität Lüneburg und an der Kölner Akademie ecosign.
Weitere Informationen und den Entwurf des »Kölner Sonntags der Nachhaltigkeit« gibt es auf davidebrocchi.eu