Betten auf dem Flur: Notunterkunft an der Herkulesstraße; Foto: Manfred Wegener

Kein Zimmer, Küche, Diele, Bad

In Köln kommen immer mehr Flüchtlinge an — ihre Situation ist alarmierend

 

 

200 Pritschen stehen dicht an dicht, Menschen versuchen darauf zu schlafen, dazwischen wuseln Kinder herum — die Turnhalle in Deutz ist viel zu eng für 200 Personen, darunter die Hälfte Kinder, die sich austoben wollen. Immer wieder springen Leute auf, um vor dem Gelände Frischluft zu schnappen, ein verzweifelter Versuch in einem überfüllten Notquartier Privatsphäre zu erlangen.

 

Mitte Oktober haben die Flüchtlinge im Berufskolleg am Reitweg vorübergehend eine Unterkunft gefunden. Wegen Überfüllung der Erst-Aufnahmestellen in Dortmund und Bielefeld, forderte die Landesregierung die Stadt Köln auf, kurzfristig zusätzlich 200 Asylsuchende aufzunehmen. OB Jürgen Roters (SPD) hat dies aufgrund der »prekären Unterbringungssituation« abgelehnt, wurde dann aber vom Land dazu verpflichtet. Das NRW-Innenministerium betont, dass es ein vorübergehendes Quartier bis zum Ende der Herbstferien sei. 

 

»Die Situation kam nicht überraschend«

 

Die Stadt stehe ohnehin vor einem »massiven Unterbringungsproblem«, sagt Sozialdezernentin Henriette Reker (Grüne). Alle 31 Wohnheime und die beiden Notunterkünfte an der Vorgebirgs- und an der Herkulesstraße würden seit Wochen aus allen Nähten platzen, auf den Fluren seien bereits zusätzliche Betten aufgestellt worden. Selbst in der Notaufnahme Herkulesstraße leben derzeit 100 Menschen — 70 sollten es nach den Kriterien der humanen Flüchtlingsunterbringung, die sich der Stadtrat selbst auferlegt hat, sein. Zudem sind mehr als 200 Menschen in heruntergekommenen »Hotels« untergebracht. Hintergrund ist, dass in den vergangenen Monaten laut Reker »extrem viele« Flüchtlinge in NRW und in Köln, vor allem aus Mazedonien und Serbien, aber auch Syrien, angekommen sind: »Einen solch dramatischen Anstieg konnten wir nicht vorhersehen.«

 

Kölner Flüchtlingsverbände sehen das anders. Seit Jahren weisen der Kölner Flüchtlingsrat und der Rom e.V. auf die steigenden Zahlen hin und fordern ein Umdenken: »Die Situation kam nicht überraschend. Die Lebensbedingungen, z. B. für Roma auf dem Balkan, sind absolut existenzbedrohend. Das will in der Kölner Politik und Verwaltung aber keiner hören«, sagt Iris Biesewinkel vom Rom e.V. Auch die Bezirksregierung Arnsberg, die für die landesweite Verteilung von Asylsuchenden zuständig ist, schrieb bereits am 15. Oktober 2010 an  alle NRW-Kommunen: »Nach den letzten Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge werden die Zahlen auch weiterhin steigen. Ich bitte diese Entwicklungen bei Ihren Planungen für die Unterbringung der Ihnen zugewiesenen Asylbewerber zu berücksichtigen.« 

 

Hoffnung auf das »Projekt Auszugsmanagement«

 

Tatsächlich erschwert der übersättigte Kölner Immobilienmarkt die Suche nach Wohnraum. Seit Anfang des Jahres bemühen sich Wohnungsversorgungsbetriebe und Sozialdezernat um Unterkünfte — bislang erfolglos. Als Grund werden Angst vor Nachbarschaftsstreit und die Aussicht auf höhere Preise auf dem freien Markt genannt. 

 

Die Hoffnung von Politik und Verwaltung ruht nun auf dem »Projekt Auszugsmanagement«. Flüchtlinge, die die Berechtigung zum Auszug aus einem Kölner Wohnheim erhalten, werden bei ihrer Wohnungssuche unterstützt. Das Projekt, das vor einem Jahr startete, verläuft sehr erfolgreich, bislang konnten 42 Menschen privat untergebracht werden. Das ist deutlich  günstiger für die Stadt — für eine fünfköpfige Familie kostet das im Schnitt 740 Euro, ein Wohnheim dagegen 2090 Euro und ein Hotelzimmer 1300 Euro, pro Person (!). »Und die Integration verläuft deutlich besser«, berichtet Özlem Esen, die beim Kölner Flüchtlingsrat für das Projekt zuständig ist. So hört man aus Politik unisono:  »Wir wollen das Projekt ausbauen.« 

 

Darüber freut sich Claus-Ulrich Prölß, Vorsitzender des Flüchtlingsrates, allerdings zeigt er sich auch erstaunt. Denn der Runde Tisch für Flüchtlingsfragen forderte dafür zwei Personalstellen, bewilligt wurde aber vom Stadtrat nur eine Stelle. »Wir hätten noch mehr Menschen vermitteln können. Es gibt aber wenig Einsicht, dass man investieren muss, um langfristig zu sparen«, so Prölß. 

 

Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt steht in der Kritik

 

Nicht nur das Notfallmanagement der Stadt, auch die Öffentlichkeitsarbeit steht in der Kritik. Stadtkämmerin Gabriele Klug (Grüne) verhängte jetzt aufgrund der Finanzmisere eine Haushaltssperre, als ein Grund für die »Verschlechterungen der Haushaltslage« führt Klug »notwendige Mittel für die Unterbringung von Flüchtlingen« an — obwohl das Notquartier in Deutz vom Land finanziert wird. »Es ist unwürdig und unseriös, Menschen in Not vor die Karre zu spannen, um langfristige Finanznöte zu erklären. Damit öffnet man einem bestehenden Rassismus Tür und Tor«, sagt Biesewinkel. 

 

Derweil facht auf Bundesebene Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Flüchtlingsdebatte mit neuen Vorschlägen an. Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien sollen abgeschreckt werden — unter anderem durch eine Wiedereinführung der Visumspflicht und ein beschleunigtes Asylverfahren. »Wirtschaftsflüchtlingen« aus vermeintlich »sicheren Staaten« soll künftig weniger Geld bar ausgezahlt werden. Für die Betroffenen ein Schlag ins Gesicht: Mehrere Studien belegen, dass sich die Lebensumstände für Minderheiten auf dem Balkan verschlechtert haben. Roma, die größte Minderheit, leben dort meist in Slums, sind Anfeindungen bis hin zu Gewalt ausgesetzt und von medizinischer Versorgung und Schulbildung ausgeschlossen. »Friedrich betreibt eine selektive Aushebelung des Rechts auf Asyl. Es kommt niemand freiwillig nach Deutschland und lässt sich mit 200 zusammenpferchen«, so Iris Biesewinkel.