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Kriegstheoretiker haben Konjunktur. Seit dem erfolgreichen Afghanistankrieg darf sich auch der Zivilist wie ein militärischer Beobachter fühlen und mitdiskutieren, wenn es um Guerilla-Taktiken und die Chancen des Luftkampfs geht. Nachdem auch in Deutschland jede Hoffnung auf eine militärfreie Gesellschaft fahren gelassen wurde, ist die Scheu vor militärischen Vokabeln einer kaum verhüllten Faszination gewichen. Hatte man sich vor einem Jahrzehnt noch bemüht, Kriegsspielzeug aus den Kinderzimmern zu vertreiben, wirkt solche pazifistische Grundstimmung heute fast lächerlich naiv. Überall ist von neuen Formen des Kriegs die Rede und einer Gewalt unbekannter Herkunft. Aber haben sich tatsächlich die Gewaltverhältnisse verändert oder nur unser Verhältnis zur Gewalt? Krieg scheint endgültig zur Hieroglyphe unserer Kultur geworden zu sein. Und man muss sich wieder die alte Frage stellen, ob das nicht immer schon so war.
Ein Blick in die Philosophiegeschichte wird für jeden Friedensfreund zu einer herben Enttäuschung. Von Heraklit, der im Krieg den Vater aller Dinge sah, bis zu Nietzsches phantasmatischen Verzückungen angesichts des kriegerischen Menschen – die große Mehrzahl der Denker hielt eine ordentliche Schlacht keineswegs für ein Übel. Im Gegenteil, der Staatsphilosoph Hegel fand, dass der Bellizismus die beste Möglichkeit sei, mit dem Gerede vom eitlen Menschen endlich ernst zu machen. Im Krieg hat der Mensch die Chance, sich von den irdischen Gütern zu trennen und das unter Beweis zu stellen, was ihn wirklich vom Tier unterscheidet – seine Befähigung zum Opfer. Sich eine Welt ganz und gar ohne Krieg vorstellen zu wollen, ist ein junger Wunsch. Zumindest in Europa haben die letzten beiden Weltkriege zu einem drastischen Vertrauensverlust in die »sittliche Kraft« des Krieges geführt. Denn wie heißt es so schön bei Kant: auch im Krieg muss es ein Vertrauen zum Feind geben, sonst könnte man sich keinen Frieden mehr vorstellen. Militärische Konflikte stellten für das abendländische Denken keineswegs ein Problem dar – ausgenommen der Bürgerkrieg. Oder um in der Sprache der Kriegstheoretiker zu bleiben: ein Krieg, der nicht mehr von »regulären Truppen« geführt wird und sich am Ende als »ungehegter Ausrottungskrieg« entpuppen könnte – ein Krieg aller gegen alle eben, wie der wohl einflussreichste Staatstheoretiker Thomas Hobbes den Naturzustand konstruierte.
Genau diesen Zustand attestieren Tom Holert und Mark Terkessidis der gegenwärtigen Weltgesellschaft. Längst beschränkt sich der Krieg nicht mehr auf jene sauber »eingehegten« Schauplätze außerhalb der Industrienationen. Der Bellizismus ist zur ubiquitären Daseinsform geworden, auch dort, wo man sich in zivilen Schutzzonen wähnt. Egal welche sozialen Bereiche man betrachtet, überall wird Krieg geführt: Ehekrieg, Börsenkrieg, Krieg an den Schulen, Krieg in den Chefetagen, Krieg gegen Drogen, Guerilla-Taktiken im Marketing, Kriegskassen werden aufgefüllt, der Bürger stellt sich auf wie in einem simulierten Schlachtfeld – dem des täglichen Lebens. Und am meisten noch lässt sich lernen von alten chinesischen Kriegstheoretikern, deren Wahrheit offensichtlich tausend Jahre Geschichte locker wegstecken kann. Vielleicht hatte der inhaftierte Topterrorist Carlos gar nicht so Unrecht, als er die Anschläge auf das Pentagon und das World Trade Center zu rechtfertigen versuchte, indem er von feindlichen Soldaten sprach – einmal in Uniform und einmal in Krawatten. Zwar führt die Entsicherung des Krieges allenthalben zu einem paranoischen Sicherheitswahn, weil niemand mehr weiß, wer und wo eigentlich der Feind ist. Aber alles in allem ist die Kriegsmetaphorik so erfolgreich, weil der Kriegszustand eine gesteigerte Existenz verspricht, wie sie Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg beschrieben hat. Und das paradoxer Weise, gerade weil die klassische Kriegsform im 20. Jahrhundert ziemlich grundlegend versagt hat.
Diesem soldatischen Trauma und seiner medialen Aufarbeitung gehen Holert und Terkessidis in ihrem Buch über den Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert nach. Während das geordnete Militär in den traditionellen Kriegstheorien gerade für hervorragende Zivilisationsleistungen steht, lässt sich die exzessive Gewalt in Vietnam so nicht mehr bebildern. Im Gegenteil, solche Kriegsformen verlangen nach Aussteigertypen, deren Sinngebung im Bild des rauschhaften Existenzerlebnisses jenseits der gesellschaftlichen Einbindung liegt. Krieg erscheint besser noch als jeder Drogentripp, um die bürgerliche Welt dauerhaft zu überwinden. Der unrasierte Landser – der erste Outlaw der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft – oder der neue Hippie- und Rocksoldat sind Einzelkämpfer auf der Suche nach dem nicht endenden Kick. Für die Daheimgebliebenen sind sie so ungeheuer faszinierend, weil sie sich bestens eignen für die soziale Mimikry eines neoliberalen Individuums, das sich nicht mehr in den Fabriken disziplinieren muss, sondern in der Kampfzone der Ich-AGs. Der mediale-militärische Komplex wird auf diese Weise erneut zum zentralen Zivilisationsmodell – nur unter umgekehrten Vorzeichen. Die Kriegsschauplätze außerhalb der Industrienationen und ihre interventionistischen Erlebniskämpfer dienen zu täglichem sportiv-aggressivem Training für das neue Einsatzgebiet des Sozialen.
Diese Verquickung vom Abenteuerimage des Militärischen – der starken Truppe – und der Unterhaltungsindustrie wird von den Autoren auf gut lesbaren zweihundertfünfzig Seiten in zahlreichen Materialanalysen herauspräpariert. Gerade in der neuen Humanitätsrhetorik und dem freundlichen Auftreten der UN-Truppen sehen die Autoren eine sublime Verschwisterung am Werk, die sich etwa an der Rolle der UN-Land-Rover im Jugoslawienkrieg und parallel dazu in der westlichen Zivilgesellschaft zeigen lässt. Krieg ist längst nicht mehr der zeitlich begrenzte Ausnahmezustand, sondern die Grundierung einer Kultur, die einem unerbittlichen ökonomischen Steigerungsimperativ gehorcht. Es ist wohl nicht zuviel gesagt, dass der dritte Weltkrieg längst begonnen hat. Nur dass es diesmal keine Unterscheidung zwischen Zivilisten und Soldaten mehr gibt. Man muss sich fragen, warum nicht mehr solcher Bücher geschrieben werden.
Lesung: Di, 1.10. um 20 Uhr, Der Andere Buchladen, Weyertal 32, Sülz.
Tom Holert & Mark Terkessidis: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 287 S.,9,90 EUR.
Leander Scholz (*1969) arbeitet am Sonderforschungsbereich Medien der Universität Köln und veröffentlichte 2001 den Roman »Rosenfest« über die RAF-Mitglieder Andreas Baader und Gudrun Ensslin; im Frühjahr 2002 erschien sein neuer Roman »Windbraut«.