Parzival in Plüsch

Michael Ebmeyers erster Roman zeigt ungebremste Erzähllust

Erst eineinhalb Jahre sind vergangen seit dem Erscheinen von Michael Ebmeyers Erzählband »Harry Silber geht zu Ende«. In diesen größtenteils brillant erzählten Geschichten blitzte bereits so manche Idee auf, die für einen größeren Text geeignet schien. Nun hat Ebmeyer, Jahrgang ‘73, einen ersten Roman geschrieben. Er trägt den ebenso schönen wie kryptischen Titel »Plüsch«.
Tim Schadeck, Sohn einer psychotischen Esoterikerin und eines zwanghaften Apothekers, ist in etwa so alt wie sein Autor und verdient sein Geld mit dem Zusammenschweißen von Eisenteilen für einen in Ehren ergrauten Künstler. Zusammen mit seinem besten Freund Maul spielt er in einer Art Kleinkunst-Popband, Songs wie »Don’t cry for me Birgit Breuel« oder »Frau Zukunft, bitte Storno«. Beider Leben zeichnet sich durch eine gewisse »Tugend der Orientierungslosigkeit« aus (um den Titel eines Zeitgeist-Buchs aus der Kohl-Ära zu zitieren). Doch Maul, ein paar Jahre älter als Tim, ist das nicht genug: »Alles, was wir machen, ist Scheiße«. Argumente, denen sich auch Tim nicht entziehen kann, und so schließen die beiden Freunde einen Pakt: »Wenn sich unser Leben innerhalb von zwei Jahren nicht bessert, dann ist Schluss«. Bis dahin vergeben die beiden Buchhalter des Glücks Minus- und Pluspunkt für alles, was ihnen wiederfährt: Die Band, Weltpolitisches und, natürlich, Liebesgeschichten.
Gleich im Eingangskapitel träumt Tim dem Leser von der Uruguayerin Alicia vor. Welche Bedeutung diese schicksalshafte Begegnung für Tims »Gralssuche« hat, erfahren wir allerdings erst am Ende. Genauso wichtig (oder doch nicht?) wie die Liebe ist die Frage nach dem Sinn politischen Engagements. Tim und Maul verehren die spanischen Anrachisten, allen voran Durruti (»Wir tragen einen neue Welt in unseren Herzen«). Golfkrieg, Nato-Einsätze, Genua und Seattle werden allerdings kaum mehr als anzitiert.
Der Pakt ist die erzählerische Klammer, die eine Vielzahl von Figuren und Episoden zusammenzuhalten hat. Trotzdem vergisst man bei der Lektüre des Romans diesen zentralen Plot immer wieder – weil er nicht funktioniert. Das Erzählen gerät auf Abwege – zum Glück! Das entspricht nicht nur dem Thema Gralssuche, sondern es gibt Ebmeyer die Möglichkeit, seine Stärke voll auszuspielen: eine bis ins Detail gehende Phantasie und Erzähllust. Ein wenig hat man den Eindruck, ein Tableau aus Geschichten zu lesen, Geschichten, die sich zwischen Schwabenländle und Ghana, zwischen Barcelona und Melbourne ereignen. Mit »Plüsch« ist Ebmeyer das Kunststück gelungen, das Prinzip der Kurzgeschichte in einem Roman untergebracht zu haben. Und das liest sich sehr gut.

Plüsch. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, 319 S., 19,90 EUR.

Michael Ebmeyer am 1.10. in der neuen Lesung&Musik-Reihe »sublyrics« (Kooperation
K & W, Buntbuchhandlung, StadtRevue). Subway, Aachener Str. 82-84, 21 Uhr.

Wir verlosen 5 x 2 Gästelistenplätze: Postkarte oder E-Mail bis zum 30.9. an »Redaktion Literatur« oder verlosung@stadtrevue.de, Stichwort: »Plüsch«.