In der Rechtskurve

In Deutschland wird über Rechtsextreme im Stadion diskutiert. Die Repression gegen die Ultrà-Szene könnte zu einer Verschärfung des Problems führen

Die Aufregung war groß, als in Dortmund am ersten Spieltag der aktuellen Saison ein Banner mit der Aufschrift »Solidarität mit dem Nationalen Widerstand Dortmund« gezeigt wurde. Zumal die Aktion kein Einzelfall war: In Braunschweig machen linke Ultràs in einer 80-seitigen Broschüre auf ein Nazi-Problem in der eigenen Kurve aufmerksam. In Aachen finden gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und einer antirassistischen Ultrà-Gruppe statt. Der Ende September erschienene Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sport­einsätze (ZIS) schließlich sieht bei 16 Vereinen der 1. und 2. Liga — unter anderem in Düsseldorf und Mönchengladbach — auch Angehörige der rechten Szene in der Kurve. Haben die deutschen Fankurven ein Naziproblem?

 

Der 1. FC Köln findet sich zwar nicht in der Liste der ZIS. Trotzdem dürfe man nicht blauäugig sein, sagt Carsten Blecher. »In jedem Stadion gibt es auch Nazis. Wir haben in Köln aber zum Glück nicht diese Probleme wie in Dortmund oder Aachen. Wir haben keine geschlossenen rechten Gruppen im Stadion«. Der 39-Jährige arbeitet seit 2008 beim sozialpädagogischen Kölner Fanprojekt, das den Jugendzentren Köln angegliedert ist. Neben Gewaltprävention und Vermittlung zwischen Fans, Polizei und Verein steht auch Antirassismus auf dem Programm. So besuchte man im November im Rahmen der Europäischen Aktionstage gegen Rassismus anlässlich des Auswärtsspiels bei 1860 München die Holocaust-Gedenkstätte Dachau.

 

»In vielen Stadien sorgen Ultrà-Gruppen dafür, dass rechte Tendenzen nicht dominant werden«

 

»Es gibt in allen Stadien 20 bis 80 Neonazis«, sagt auch der Soziologe Gerd Dembowski. Der 40-Jährige beschäftigt sich seit Jahren mit Fankultur. Er war lange Sprecher des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF), seit kurzem arbeitet er in der neu gegründeten Kompetenzgruppe Fankulturen an der Universität Hannover. »Die waren schon immer da, und auch nie richtig weg. Es ist bloß subtiler geworden.« Die Kurve ist nach Dembowski prinzipiell gefährdet: »Das Stadion ist ein Ort hegemonial männlicher Wertvortstellungen. Dieses Weltbild kann autoritäre Strukturen wie Nationalismus verstärken.«

 

Die Zahl der offen agierenden Neonazis in den Stadien ist heute jedoch weitaus weniger besorgniserregend als in der Vergangenheit. Das ist auch ein Verdienst der Fans selbst, meint Dembowski. »In vielen Stadien sorgen auch Ultrà-Gruppen dafür, dass rechte Tendenzen nicht dominant werden können.« Blecher bestätigt das: »Wenn man sich die 80er Jahre anguckt, da wurde sich ja viel offener rechts positioniert«. Erst mit dem Aufkommen der Ultràs und der zunehmenden Organisation der Fans änderte sich das. Das 1993 gegründete BAFF sorgte im Verbund mit der neuen Fangeneration dafür, den Rassismus aus den Stadien zu drängen.

 

Medien zeichnen häufig ein Bild von Ultràs als gewalttätigen Neo-Hooligans

 

Auch in Köln waren die aktiven Fans mit verantwortlich, dass die rechte Szene sich nicht ausbreiten konnte. Vor allem in den Nuller-Jahren empfanden viele die antirassistische Arbeit als wichtigen Teil ihres Fan-Daseins. Zunächst als Teil der Ultrà-Gruppierung Wilde Horde, heute vor allem bei den Coloniacs, die auch viele Veranstaltungen des Fanprojektes gegen Rechts mitorganisieren. Der Konsens in der Kurve sei noch heute antirassistisch, sagt Jan Stein (Name geändert). Er ist Dauerkarteninhaber und steht selbst in der Südkurve. »Die Wilde Horde übernimmt in der Kurve quasi eine Kontrollfunktion«, sagt er. Das zeigte sich zum Beispiel im März, als die Polizei im Rahmen einer landesweiten Aktion in Ahrweiler mehrere Mitglieder des rechtsextremen Aktionsbüros Mittelrhein festnahm, da­runter ein Mitglied des FC-Fanclubs Ahrtaler Bitböcke. Das Solidaritätsbanner, das seine Fanclub-Kollegen beim nächsten Heimspiel in der Südkurve präsentieren wollten, wurde von der Wilden Horde verhindert.

 

Die positiven Aspekte der aktiven Fanszene verschwinden in den Medien allerdings hinter den Berichten über Platzstürme, Pyrotechnik und Gewalt. »Das Negative wird breitgetreten, die kostenlose Sozialarbeit, die Arbeit gegen Diskriminierung kommt zu kurz« sagt Ultrà Tim Henk (Name geändert). Medien und Politik zeichnen ein Bild von gewalttätigen Neo-Hooligans, die Verbände greifen mehr und mehr zu drakonischen Strafen wie Geisterspielen und langjährigen Stadionverboten. Zu Sicherheitskonferenzen werden die Fans nicht eingeladen, den Dialog über Pyrotechnik erklärte die Funktionärsseite für beendet, auch ein Verbot der Stehplätze ist kein Tabu mehr.

 

An die Auseinandersetzungen zwischen Ultràs und Politik können auch Rechtsextreme andocken

 

In dieser Entwicklung sehen nicht wenige die Grundlage für eine Renaissance offenerer rechtsextremer Präsenz im Stadion: »Der Kampf gegen die Ultràs kann dazu führen, dass in einigen Stadien rechte Gruppen wieder Aufwind bekommen. Das ist eine Gefahr«, sagt Jan Stein. Zum einen wird die Ultrà-Szene in ihrer Gesamtheit geschwächt, und damit eben auch die Kräfte, die sich aktiv gegen Diskriminierung einsetzen und dafür gesorgt haben, dass die meisten Stadien zumindest keine offene Nazi-Szene haben. Statt sich mit Problemen in der eigenen Kurve beschäftigen zu können, geht es zunehmend ausschließlich um die Auseinandersetzung mit dem Staat. »Wenn die Gruppen sich so stark an den Rand gedrängt fühlen, dann hat man nicht mehr diesen Freiraum, sich zum Beispiel um Antirassismus zu kümmern«, sagt Carsten Blecher.

 

An die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Ultràs und Politik, wie den Kampf gegen die Kommerzialisierung, gegen Repression oder Polizeiwillkür, können auch Rechtsextreme andocken. Gerade jüngeren Ultràs ist es egal, wer sie im Kampf gegen den repressiven Staat unterstützt. »Nirgendwo haben wir symbolisch so zugespitzt dieses Wir-gegen-die-Gefühl«, sagt Gerd Dembowski. Im Zweifel geht’s zuerst um die Gruppen- oder Vereinszugehörigkeit, nicht um die politische Ausrichtung des Nebenmannes.

 

Gefahr eines Rechtsrucks auch in Köln

 

Verliert die Wilde Horde die Vorherrschaft, könnte sich auch in der Kölner Kurve die Ausrichtung ändern. »Die Horde wurde zuletzt massiv geschwächt. Viele Mitglieder sind mit Stadionverboten belegt«, sagt Frank Werner. Auch er war jahrelang in der Ultrà-Szene aktiv. »Diese Entwicklung ist gefährlich. Wenn die Gruppe nicht mehr so aktiv ist, dann orientieren sich die 14-jährigen Kids vielleicht in eine andere Richtung.«

 

Die Gefahr eines Rechtsrucks sieht Werner vor allem aufgrund der Boyz, der dritten großen Kölner Ultrà-Gruppe neben der Horde und den Coloniacs. Werner zufolge gibt es klare Verbindungen zwischen den Boyz und der alten, tendenziell rechten Kölner Hooliganszene sowie eine Freundschaft mit den Desperados 1999 aus Dortmund, einer Gruppierung mit Verbindungen zur rechten Szene. Werner und andere befürchten, dass die Boyz in Zukunft mehr Macht übernehmen. »Die Boyz sind die größte Gefahr in der Südkurve«, sagt er. Schon jetzt würden hier offener rechte Symbole getragen.

 

Strafen für Ultrà-Gruppen, die sich gegen Rassismus positionieren

 

Wie man Rechtsextremismus im Stadion begegnen soll, darauf gibt es viele Antworten. Die Vereine geben sich zumeist ignorant. Eintracht Braunschweig leugnet die Unterwanderung der Ultrà-Szene durch Rechtsextreme und stellt die linken Fans als Nestbeschmutzer dar, in Aachen dauerte es mehr als ein Jahr, bis sich der Verein unter dem Einfluss immer regelmäßiger politisch motivierter Übergriffe zu Maßnahmen entschloss, die zudem pauschal alle Ultrà-Gruppen mit einschließen.

 

Die Verbände setzen auf Kampagnen, die medienwirksame »Geh Deinen Weg«-Kampagne des Deutschen Fußball Bundes (DFB) zu Saisonbeginn war das letzte Beispiel. Gleichzeitig erhalten Ultrà-Gruppen Strafen, die sich eindeutig gegen Rassismus positionieren. So bekamen im Juli Mainzer Fans, die Ende 2011 auf dem Weg zum Auswärtsspiel auf eine Gruppe Nazis getroffen waren und diese blockiert hatten, vom DFB langjährige Stadionverbote. »Auf der einen Seite wird Zivilcourage gefordert, auf der anderen werden Stadionverbote ausgesprochen«, sagt Tim Henk.

 

Gerd Dembowski hält auch einfache Lösungen für sinnvoll. Die Fanprojekte könnten noch mehr finanzielle Unterstützung brauchen, zum Beispiel. Vor allem aber müsse man die Fans einbeziehen, sagt er. Das sieht auch Tim Henk so: »Diesen Einfluss, den wir haben, hat kein Fanprojekt, kein Politiker und kein Spieler.«