Blick unter die Gürtellinie
»Ein Mann muss nicht immer schön sein«, behauptete Peter Alexander in den 50er Jahren. Er irrte, zumindest was jene Kerle anbelangt, für die wir Eintritt zahlen. Sieben Euro, um den eigenen Mann beim Anziehen zu beobachten? Nein, danke! Da könnte man ja genauso gut Farbe beim Trocknen zusehen. Für George Clooneys nackten Oberkörper in Cinemascope dagegen würde so manch eine noch weit mehr hinlegen. Ein kleiner Unterschied, der viel Geld in die Kassen der Filmindustrie spült. Die lebt nicht schlecht davon, dass die Männer im wirklichen Leben selten so ausdauernd wunderbar, so schön, so erotisch – kurz: so göttlich sind wie Tom Cruise, Brad Pitt, Robert Redford oder Richard Gere.
Auf der Suche nach dem Lustzentrum der Zuschauerin zieht sich das populäre Kino freilich gerne auf das zurück, was als geschlechtsspezifische Bedürfnisse zum Klischee erstarrt und offiziell abgesegnet ist. Was das gefühlige Weib zu interessieren hat, sind, bitteschön, die romantischen Qualitäten eines Helden. Nichts anderes – so will es das Gerücht – als sein Versprechen, nie, aber auch nie damit aufzuhören, Kerzen zum Dinner anzuzünden und der Frau den Himmel zu Füßen zu legen, ziehe das weibliche Publikum magnetisch an. Während die großen Liebhaberinnen des Kinos, von Jean Harlow über Marilyn Monroe bis Jennifer Lopez, stets mehr oder weniger direkt auf den männlichen Speichelfluss zielen, wird das weibliche Begehren in der Kuschel-Abteilung angesiedelt, dort, wo die hehren Gefühle zu Hause sind. Und an diesem Missverhältnis hat sich offenbar bis heute nichts Grundlegendes geändert. Zumindest das Mainstream-Kino lebt immer noch von der Vorstellung, dass Frauen lieber dahinschmelzen als zupacken und dass sie das Kunststück, den Blick zu senken, ohne unter der Gürtellinie zu landen, bis zur Vollendung beherrschen.
Dabei ist seit Mae Wests berühmter Frage »Ist das ein Revolver in deiner Tasche oder freust du dich bloß, mich zu sehen?« dem Kino die Ahnung nicht mehr ganz auszutreiben, dass der weibliche Blick sehr wohl taxierend sein kann. Denn natürlich waren und sind Frauen nicht bloß an Männern mit Humor, Verstand und Sensibilität interessiert – das alles hat unsere beste Freundin schließlich auch. Und gerade weil es im Kino so schön dunkel ist und weil man nirgendwo anders den Mann in einem idealeren Zustand – nämlich den Blicken total ausgeliefert – findet, war und ist das Kino geradezu das Epizentrum weiblichen »Lendendenkens«, wie Umberto Eco einmal den für ihn selbst wohl betrüblichen Umstand nannte, dass es immer nur um das eine geht: um Attraktivität. Auch und gerade für Frauen und besonders im Kino.
Keine amüsante Vorstellung für Männer. Aber spätestens seit dem 23. August 1926 hätten sie es wissen müssen. Damals, als zehntausende Frauen auf die Straße gingen, um eindrucksvoll zu demonstrieren, dass das weibliche Lustzentrum direkt über die Augen zu erreichen ist. Der »größte Liebhaber der Filmgeschichte«, Rudolph Valentino, war knapp 31-jährig einem Magengeschwür erlegen. Fans drückten die Glasscheibe ein, hinter der er aufgebahrt war, und einige Verehrerinnen versuchten sogar, sich an seinem Grab das Leben zu nehmen. Es war das erste Mal in der Filmgeschichte, dass Frauen ganz öffentlich und vor allem hemmungslos ihrem Begehren Ausdruck verliehen. Zu Lebzeiten des Stars hatten sie ihm nicht lange Gedichte, sondern Höschen geschickt – verbunden mit der Bitte, sie mit den Lippen zu berühren und zurückzusenden. Bei jeder Premiere, bei der Valentino auftauchte, wurde er begrabscht und an den Haaren gezogen. Der erste Fleisch gewordene Nachweis, dass feuchte Träume auch für Frauen an der Kinokasse erhältlich sind.
Es sollten viele folgen, an denen sich die weiblichen Sehnsüchte entzündeten: Schönheiten wie Tyrone Power und Ramon Novarro, Draufgänger wie Errol Flynn und Clark Gable, standfeste Typen wie Gary Cooper und Rock Hudson, das neurotische Triumvirat Marlon Brando, Montgomery Clift, James Dean, schließlich die Herzbuben der Kino-Neuzeit, die Cruises, Pitts oder Depps. Eine Chronik, die freilich nicht nur von ungetrübter Ekstase, von der Verführung der Zuschauerin durch den Star erzählt. Denn für den Helden im Kino gilt seit jeher, was der Mann im wirklichen Leben erst seit ein paar Jahren zu spüren bekommt: Wie es ist, jeden Tag einen Schönheitswettbewerb bestehen zu müssen. Wenn Frauen wenigstens im Kino genau hinschauen, dann geht es um mehr als nur ihr Privatvergnügen. Der Blick verändert die Kriterien. Der Mythos von der männlichen Einmaligkeit muss sich plötzlich an ganz irdischen und ziemlich profanen Maßstäben messen lassen.
All die gleichermaßen unbewiesenen wie unwiderlegbaren Behauptungen von der natürlichen Überlegenheit des männlichen Geschlechts geraten ins Wanken, wenn allein diese Fragen zählen: Sieht er gut aus? Wie ist er wohl im Bett? Ist er gut bestückt? Wird er mir Lust bereiten? Und da liegt etwas nahe, das der Mann scheut wie der Allergiker die Polle: der Vergleich. Der kann nicht schmeichelhaft ausfallen. Nicht im Kino und nicht im Leben. Im Kino nicht, weil der Held durch den weiblichen Blick auf seine körperlichen Attribute vom handelnden Subjekt zum passiven Objekt wird. Ihm ergeht es wie dem Kaiser mit seinen neuen Kleidern: All der Aufwand, all das Geld, das in die Inszenierung von Männlichkeit fließt, all die Maschinen und Computertricks – alles wertlos, wenn der Retter der Welt nicht nur die größte Waffe, sondern auch den hässlichsten Hängepo aller Zeiten besitzt. Doch merkwürdig: Gerade die besonders gut aussehenden Stars leiden offenbar an einem Imagetrauma, das naturschöne Kerle wie Brad Pitt, Mel Gibson oder Tom Cruise immer wieder dazu treibt, sich hässlich zu machen und als »charaktervoll« zu etablieren. Hieran lässt sich die Angst des Mannes ablesen, gewogen und für zu leicht befunden zu werden: bloß nicht als Pin-up in die Geschichte eingehen! So wird das Männlichkeitsideal demontiert, gerade dort, wo der Superlativ die herrschende Norm ist.
Und dann die Männer im wirklichen Leben: Gewohnt, dass sie die Frauen mit schlankerer, jüngerer, cellulitefreier Konkurrenz in Schach halten, müssen sie jetzt erfahren, dass sie selbst auch bloß ein Stück Fleisch in einer ziemlich großen Auslage sind. Wo Waschbrettbauch, Knackarsch und Brustmuskeln zählen, da beginnt das Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel: Der göttliche Kerl ist immer schon »allhier«, während der Durchschnittsmann dem Ideal im Fitnesscenter nachhetzt, ohne es jemals erreichen zu können – schon weil er hauptberuflich nicht nur schön sein kann.
Hämisch könnte man werden. Aber darum geht es nicht. Schließlich sind die göttlichen Kerle da auf der Leinwand so wenig echt wie all die Superfrauen, die Stars und Sternchen, die den männlichen Hormonhaushalt anregen. Trotzdem leisten sie im Verein mit der weiblichen Schaulust einen wichtigen Beitrag: nicht nur als Initialzündung für die weibliche Fantasie, für schöne Träume und als Beweis, dass auch ein Mann »bloß« ein Spielzeug sein kann. Mit der Erotisierung der männlichen Stars geht auch eine »Feminisierung« des Mannes einher. Er muss nicht mehr nur seine Filmabenteuer, sondern auch den Body-Check bestehen. Und das bedeutet, dass er zunehmend den traditionell weiblichen Inszenierungsmitteln unterworfen wird: mit Weichzeichner und Nahaufnahmen, mit Body-Doubles und schließlich auch mit Schönheitsoperationen. So teilen Männer und Frauen nicht nur dieselbe Schaulust, sondern auch den Badezimmerschrank, die Augencreme, die Kosmetikerin und die Erfahrung, sich an den selbst aufgestellten Maßstäben messen lassen zu müssen.
Für Männer sieht es da noch ein bisschen schlechter aus. Denn neben den ganz normalen Verschleißerscheinungen des Alterns haben sie ein weiteres Problem: einen Körperteil, der sich nicht formen lässt, die ästhetische Achillesferse des Mannes sozusagen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir im Kino so selten einen Penis unplugged sehen. Könnte ja sein, dass das Image in Größe XXL mit den nackten Tatsachen nicht kompatibel ist. Dann hätten wir endlich die Wahrheit geschaut. Irgendwann wird dieser Tag kommen – umso schneller, je genauer Frauen hinsehen.
Vorabdruck aus dem Mitte Oktober erscheinenden Sammelband »Göttliche Kerle. Männer – Sex – Kino«, herausgegeben von Sabine Horst und Constanze Kleis, Bertz Verlag, Berlin, 350 S., 19,90 EUR.