Umweltkatastrophe in Wesseling: Aus der Shell-Raffinerie sind eine Million Liter Kerosin in den Boden gesickert; Foto: Manfred Wegener

Eine unendliche Geschichte

Ein Störfall in der Shell-Raffinerie bei Wesseling hat das Grundwasser verseucht

Ende Februar versickerten rund eine Million Liter Kerosin im Süden Wesselings und blieben dort wohl rund vier Wochen lang unentdeckt in der Erde. Ort der Nachlässigkeit ist die Rheinland Raffinerie des Mineralölkonzerns Shell, die größte Ölverarbeitungsanlage des Landes. Seither ist nicht viel passiert: Neun Monate nach Entdeckung des Lecks konnte Shell erst rund 100.000 Liter vom Grundwasser abpumpen — rund 900.000 Liter verschmutzen weiterhin Erdreich und Grundwasser.

 

In Wesseling und Köln wächst die Unruhe. »Shell hat viel Zeit verstreichen lassen, bevor es den ersten Sanierungsbrunnen gebaut hat«, kritisiert Matthias Welpmann, um­­weltpolitischer Sprecher der Grünen. Und Niklas Kienitz (CDU) versteht nicht, dass weitere Sanierungsbrunnen erst im März 2013 — über ein Jahr nach dem Schadensereignis — errichtet werden sollen.

 

Der Blick zurück: Es war an einem Samstag, dem 25. Februar, als Überwachungspersonal der Raffinerie Rheinland erkannte, dass ein Tank zu wenig Kerosin enthielt. Sie vermuteten ein undichtes Rohr, nahmen die entsprechende Leitung außer Betrieb und meldeten der Bezirksregierung Köln das vermeintliche Malheur. Drei Tage später bestätigten Fachleute der Raffinerie und des TÜV Rheinland die Vermutung des Personals. Shell informierte Anwohner und Medien. Das Flugbenzin versickere auf einer etwa 120 Quadratmeter großen Fläche, hieß es.

 

Im März ließ Shell Messstellen anbringen, um die Größe des unterirdischen Kerosinsees zu messen. Ergebnis: Das Kerosin bildet etwa sieben Meter unter der Oberfläche auf dem Grundwasser einen öligen Teppich. »Es sind aber keine Trinkwasserreservoirs oder Wasserschutzgebiete berührt«, sagt Shells Pressemann Constantin Graf von Hoensbroech. Alle Trinkwasserproben seien bis heute in Ordnung gewesen, behauptet auch Wesselings Bürgermeister Hans-Peter Haupt.

 

Die Reinigung des Grundwassers ließ lange auf sich warten: Der erste Sanierungsbrunnen pumpt seit Ende Juli — fast fünf Monate nach Entdeckung des Lecks — Kerosin ab. Im Oktober legte Shell dann einen Sanierungsplan vor. Er enthält etablierte Maßnahmen für solche Katastrophen: Erst soll das Kerosin möglichst vollständig abgepumpt werden, bevor das restliche Flugbenzin in Boden und Grundwasser durch biologischen Abbau zerstört wird. Die Bezirksregierung hat, damit keine Zeit verloren geht, im Oktober Teile aus diesem Plan angeordnet: Shell muss mit weiteren Grundwassermessstellen die Ausbreitung des Kerosinsees genau bestimmen und drei weitere Sanierungsbrunnen errichten, um 2013 noch mehr Kerosin abpumpen zu können.

 

Es können Jahrzehnte vergehen, bis Erdreich und Grundwasser wieder kerosinfrei sind. Wie groß der Kerosinsee tatsächlich ist, wissen die Verantwortlichen immer noch nicht. Experten zufolge gibt es Fälle von mit Kerosin kontaminierten Böden, in denen auch nach 40 Jahren noch Giftstoffe nachgewiesen wurden. »Es wird keine unendliche Geschichte«, verspricht Pressesprecher von Hoensbroech. Das hofft er wohl aus Eigeninteresse: Je schneller das Kerosin verschwindet, desto billiger wird es für den Konzern. Shell trägt alle Kosten der Sanierung.

 

Doch es geht um mehr als nur die Sanierung. Das Shell-interne Alarmsystem für undichte Rohre hat versagt. Es signalisiert erst ein Problem, wenn aus einem Rohr mehr als 5000 Liter Flüssigkeit pro Stunde fließen. Da aber an der Unglücksstelle nur 1700 Liter pro Stunde aus dem Rohr austraten, erfolgte keine Warnung. »Wir wollen unser automatisches Alarm­system erneuern«, verspricht von Hoensbroech.

 

Die Panne in Wesseling ist nicht der einzige Störfall. Die Kölner CDU verweist auf vier weitere aktuelle Störungen in der Raffinerie Rheinland. Im Nachbarwerk Godorf traten im Oktober unter anderem mehr als 4000 Liter des krebserregenden Kohlenwasserstoffgemischs Heartcut aufgrund undichter Leitungen aus. Während die Bezirksregierung Köln von einer ›Schadenshäufung‹ spricht, schimpft Matthias Welpmann von den Grünen: »Shell ist ein potentes Unternehmen. Es sollte nicht nur in der Lage sein, den Kerosinsee zügig zu beseitigen, sondern auch, all seine Rohrleitungen im besten Zustand zu halten«.

 

Raffinerien gewinnen Kerosin aus Erdöl — wie auch Benzin und Diesel. Das leicht gelbliche Kerosin besteht aus Kohlenwasserstoffen und löst sich — wie Speiseöl — nicht in Wasser auf. Da es leichter als Wasser ist, schwimmt es obenauf und bildet einen Ölteppich auf der Wasseroberfläche. Kerosin ist giftig: Es wird im Erdreich und Grundwasser bei Wesseling unzählige Mikroben, Pflanzen und kleine Tiere töten. Kerosin wird nur sehr langsam in der Umwelt abgebaut und schädigt entsprechend lange die Natur.