Pott-Kunst gegen Welt-Kunst
Er will die Festspiele auf das Ruhrgebiet zuschneiden, möchte auf dem Theater und in der Musik die Innovation, um die es ihm geht, weder an den Leuten noch an den Kulturschaffenden im Revier vorbei betreiben. Die neue Kunst soll sich wesentlich aus dem Pott und seiner Geschichte entwickeln. Kein Salzburg an der Ruhr.
So ungefähr ließe es sich zusammen fassen, das Ruhrtriennale-Konzept von Gründungsintendant Gerard Mortier, dem früheren Chef der Salzburger Festspiele. Ein Spagat: Zeitgenössische, weltläufige Produktionen – und irgendwie doch die Bindung an die Region. Mortier will sie über die bespielten Industriedenkmäler herstellen. Unter den ersten vier Produktionen findet sich – die Vorbereitungszeit zum ersten Spielzyklus (31.8.-13.10.) war kurz – nur eine echte Eigenproduktion: Schuberts »Winterreise« als szenische Interpretation durch den Filmregisseur Oliver Herrmann in der Reihe »Inszenierte Musik«. Bis Mitte Oktober folgen noch zwei weitere Eigenproduktionen.
Eröffnet wurde mit »Deutschland, deine Lieder«. Der Bochumer Schauspielintendant Matthias Hartmann inszenierte (als Koproduktion mit seinem Haus) einen überraschend unschwülstigen Text von Albert Ostermaier über die Problematik deutscher Identität anhand der Geschichte eines jungen Heimkehrers. Sein Monolog wurde verschnitten mit einem Live-A-capella-Chor, der deutsches Liedgut (querbeet) neu interpretierte. Doch der Abend hätte in jedem x-beliebigen Theater gezeigt werden können, die Halle 5 der Zeche Zollverein in Essen wurde als Spielstätte nicht angesprochen. Zudem inszenierte Hartmann im Grunde einen Videoclip. Der sah sehr gut aus, flutschte aber auch ohne Reibung durch die Kanäle der Wahrnehmung. Eine problematische Eröffnung.
Genau so auf Progressivität und Innovation bedacht, aber weniger überladen, inszenierte Oliver Herrmann in der Duisburger Kraftzentrale die »Winterreise«. Grund dafür war nicht allerhand auf der Bühne platzierter Ruhrpott-Nippes, sondern der Rest der Umsetzung. Einerseits, radikal und vergänglichkeitsernst wie die Musik Schuberts, Herrmanns Menschenportraits in den eingespielten Videobildern; andererseits der oft erschütternde Gesang Christine Schäfers. Ein Abend schon weiter drin im Pott, aber noch viel näher bei der Kunst.
Neben diesen Neuinszenierungen machten Christoph Marthalers geniale »Schöne Müllerin« (Koproduktion mit Schauspiel Zürich) und ein furioses Gastspiel von ZT Hollandia mit »Der Fall der Götter« die weiteren Premieren.
Keine Salzburg-Kunst also und auch (noch) keine Pott-Kunst. Vielleicht liegt aber gerade in diesem Anspruch das Problem.
Terminauswahl: »The Children of Herakles« von Euripides, R: Peter Sellars, Bottrop Lichthof, 26.-28.9., 19 Uhr, 29.9., 15 Uhr; »Hollywood Elegien« von Hanns Eisler, R: Schorsch Kamerun, Salzfabrik Kokerei Zollverein Essen, 27.-29.9., 3.-5.10., 20 Uhr.
Weitere Programminformationen: www.ruhrtriennale.de oder Tel.: 0700 2002 3456