Traumaschutt aus Nazideutschland
Deutschland in der »Stunde Null«: zwischen Verdrängung und Begegnung, zwischen Traumata und Täterschaft, zwischen individueller und kollektiver Identität. Warum ist das Land heute so, wie es ist? Wie ist es überhaupt? Ist es überhaupt irgendwie?
Regisseur Tim Mrosek überlässt in seiner Video-Bühnen-Installation den Zuschauern die Entscheidung, wie weit und worauf sie sich bei dieser theatralen Traumaforschung über die Nachkriegszeit einlassen mögen. Der moralische Zeigefinger bleibt eingefahren. Die Amnesie ist national. Und sie ist selektiv. Erinnerung formt die Gesellschaft und Verdrängung? Das überlieferte Bild der 40er und 50er Jahre ist kein Abbild seiner Zeit. Autowaschen, Fußball, das zur Medizin verklärte »Frauengold« und das deutsche Wirtschaftswunder helfen den Heimkehrern und den zu Hause gebliebenen Frauen die Nachkriegswirklichkeit bestehend aus Ruinen, Not, Schuld, Gefangenschaft oder Vergewaltigung nicht thematisieren zu müssen und dennoch nicht sprachlos zu bleiben.
Film und Bühnenperformance funktionieren gleichermaßen als Medium, um in die Vergangenheit einzusteigen. Auf beiden Ebenen werden Einzelschicksale von Schauspielerin Dorothea Förtsch in Szene gesetzt, die allmählich miteinander verschmelzen.
Sequenzen aus dem Leben von Trümmerfrauen folgen auf Selbstporträts von Kriegskindern, die von ihren jungen Jahren als eine Mischung aus Warten, Wirtschaftswunder und Gewalt berichten. Konserve der bösen Erinnerungen ist ein bunkerartiges Gebilde, das unnahbar, undurchschaubar im Zentrum der Bühne emporragt. Blitzartig strömen daraus die Video-Sequenzen. Andere Passagen fördern die Ignoranz Jugendlicher zutage, gegenüber dem, was die Vergangenheitsverdrängung bis heute bedeutet. Oder ist das nur die Reaktion darauf?
Mrosek selbst sagt über sein Stück, dass es sich dem Thema Vermissen widme, als Start einer Reihe über die Identitätsfindung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Stück über eine Gesellschaft, in der jeder Vierte entweder als vermisst galt oder einen Vermissten zu beklagen hatte. Der Gedanke daran dominiert das Stück aber nicht — die Verbindung von Vermisst werden und Verdrängung ergibt sich nicht zwangsläufig. Die Identitätssuche der Kriegsgeneration und insbesondere die der deutschen Frau — das ist das, was hängen bleibt und das umso eindrucksvoller.