Foto: Manfred Wegener, Zufriedene Gesichter: Sandra Jasper (links) von »Kalk für alle« im Gespräch mit einer Besucherin

Alk für Kalle

Anfang Dezember konnten Kalker Bürger 10.000 Euro für Stadt­teilprojekte vergeben

Einhundert Bäume pflanzen? Einen Werkraum für Kinder und Erwachsene ausstatten? Bänke auf den Platz an der Kalker Post? WLAN für alle? Oder doch ein Abenteuerspielplatz auf dem Alten Kalker Friedhof?

 

In Kalk hatten die Bürger die Qual der Wahl — beim Projekt »Kalk für alle« waren 10.000 Euro zu vergeben, eine Art »Mini-Haushalt« für den Stadtteil im Rechtsrheinischen. »Man liest so oft von Bürger-Mitbestimmung. Hier sollte es so sein, dass die Entscheidungen allein bei den Bürgern liegen«, sagt Rami Hamze. Der Filmemacher ist Initiator von »Kalk für Alle«. Finanziert wird das Projekt durch das WDR-Format Kinozeit Dokumentarfilm und die Filmstiftung NRW.

 

Ungefähr dreißig Leute sind Anfang Dezember zum Entscheidungsabend von »Kalk für Alle« gekommen, um ihre Gruppenvorschläge vorzustellen und über den Verwendungszweck zu entscheiden. Man trifft sich in dem für das Projekt angemieteten Raum auf der Kalk-Mülheimer Straße, den zwei Filmbildner mit einigen Lampen und Sitzmöbeln eingerichtet haben. Zwei Filmkameras begleiten die Entscheidungsfindung.

 

Vom mobilen Ruheraum bis zum Kalkberg-Karussell

 

Neun Projekte haben es in die Entscheidungsrunde geschafft. Die Ideen sind vielfältig: Ein Mann favorisiert einen Ruheraum mit nomadischem Charakter inmitten der Großstadthektik — in Form einer Jurte, die an verschiedenen Orten in Kalk aufgestellt werden kann. Der Kalker Stadtgarten e.V. hätte gerne finanzielle Unterstützung für die Renovierung seines Geräteschuppens, die Sozialarbeiterin Marianne Kieffer für ihr sanierungsbedürftiges Häuschen an der Bertramstraße, wo sie in Zukunft Kinder betreuen möchte.

 

Die Bürgerinitiative Kalkberg stellt ihre Idee von einem mechanischen Karussell auf dem Kalkberg vor. Drei junge Männer möchten zwei wetterfeste Schrank-Regale anschaffen, die als Umsonst-Regale dienen sollen. »Damit die Hemmschwelle von einem Umsonst-Laden mit Eins-zu-Eins-Kontakt wegfällt«, erläutert einer von ihnen. Eine Gruppe schließlich möchte drei ungenutzte Flächen rund um Trimbornstraße und Kalker Hauptstraße bepflanzen.

 

Nicht alle, die sich im Laufe der knapp zweimonatigen Projektzeit beteiligt haben, sind anwesend, lediglich gewählte Sprecher der Gruppen. Viele junge Eltern sind darunter, Studenten, Aktivisten aus anderen Initiativen, einige wenige Migranten. Die meisten leben schon seit rund zehn Jahren in Kalk. Einzig ein junger Mann beginnt seine Vorstellung in eher brüchigem Deutsch, bis er seine Mitreferentin hilfesuchend anguckt und sie schließlich weiterspricht.

 

Entscheidung erst am späten Abend

 

Wer die Entscheidung miterleben will, muss schon ein wenig Sitzfleisch mitbringen. Nach knapp zwei Stunden Vorstellungen folgt eine erhitzte und rund drei Stunden lange Diskussion, erst am späten Abend wird abgestimmt. Die Diskussion war kontrovers, aber es gab zum Schluss ein Votum, das alle akzeptiert haben«, fasst Hamze zusammen.

 

Den Zuschlag erhalten insgesamt drei Projekte: die Umsonst-Regale, die mit rund sechshundert Euro unterstützt und vor der Kirche St. Joseph im Norden Kalks aufgestellt werden sollen. Außerdem eine solidarische Bank, die nach dem Modell von selbstfinanzierten Leihgemeinschaften aus Spanien funktionieren soll und zweitausend Euro Startkapital bekommt. Der Löwenanteil geht an das Projekt »Raum für alle«. Die »Raum-Gruppe« möchte die laufende Projektarbeit von »Kalk für Alle« in der Kalk-Mühlheimer Straße 61 weiterführen, ein Café mit fairen Preisen betreiben, Anlauf- und Vernetzungsstelle für Gruppen und Initiativen sein und bestehende Angebote wie zum Beispiel den Kino-Freitag weiterhin ermöglichen.

 

Kritik aus Aktivisten-Kreisen

 

Nicht bei allen Kalkern ist diese Interpretation von »direkter Demokratie« gut angekommen: »Da kommt jemand von außen und instrumentalisiert mit seinem Geld das Viertel für einen Film — der ganze Ansatz ist doch falsch und erinnert an klassische Entwicklungspolitik«, findet Anne, eine Kalkerin, die sich im AZ und im Naturfreundehaus Kalk engagiert. Die wirklichen Problemen der Menschen im Veedel seien Hunger oder rassistische Polizeikontrollen, findet sie. Das erfahre man aber erst, wenn man lange im Stadtteil lebe und arbeite, erzählt sie. Bei der Lebensmittelausgabe im Naturfreundehaus zum Beispiel. »Das bräuchte übrigens dringend ein neues Dach, aber das kostet ungefähr 20.000 Euro.«

 

»Das hat alles keine nachhaltige Perspektive«, meint auch Michael Barg, ehemaliger Geschäftsführer des Naturfreundehaus Kalk e.V.. Wirklich an den Bedürfnissen im Veedel orientiert findet er wenige der Vorschläge, einzig kostenfreies WLAN wäre nicht schlecht gewesen, so Barg.

 

Joachim Römer arbeitet seit vielen Jahren als Künstler in Kalk. Was er von dem Projekt hält, ist auf einer seiner Fotomontagen abzulesen. Aus dem »Kalk für Alle«-Logo hat er etwas Neues konstruiert: »Alk für Kalle«.