Worte wie türkischer Honig

Materialien zur Meinungsbildung #132

Gesine Stabroth sagte mir, dass ein gewisser Micki, der ein »guter Bekannter« und »echt voll ein Netter« sei, ihr ein »super süßes Kompliment« gemacht habe. Und zwar dergestalt, dass er ihre Erscheinung mit der einer mir bis dato unbekannten, allein unter optischen Gesichtspunkten gemeinhin als epochal eingestuften Schauspielerin verglichen habe, deren Name in der einschlägigen Presse stets in Begleitung des Attributs »Hollywood-Partynudel« fällt. Ich wollte nicht rechthaberisch wirken. Ich schwieg. Danach erklärte ich, dass, zum einen, Micki ein Volltrottel sei und dass, zum anderen, ein Vergleich per se niemals ein Kompliment sein kann. Einen Menschen mit einem anderen zu vergleichen, mag in den Sozialwissenschaften Erkenntnisse befördern, im geselligen Umgang ist es das Allerletzte. Die korrekte Antwort einer Dame darauf ist die schallende Ohrfeige oder ein Tobsuchtsanfall.

 

Ein Vergleich ist nicht nur unschicklich, sondern auch ungeschickt, offenbart er doch immer eine beschränkte Beobachtung. So ist die Liebe eben weder »eine Rose« (Die Flippers) noch »eine erbärm­liche Lüge« (The Smiths), sondern etwas, das sich eben nicht mittels Parolen zur Sprache bringen lässt.

 

Der Vergleich kaschiert wortreich, dass wir das Eigentliche nicht zu fassen bekommen. Erst gestern hörte ich jemanden über ein neu erschienenes Buch sprechen. Nicht im Wirtshaus, sondern im TV zur besten Sendezeit. Es lese sich, hörte ich, als hätte es Kafka nach der Einnahme halluzinogener Pilze geschrieben. Ich finde, dass jemand, der hauptberuflich über Literatur spricht, nicht so einen Unfug verzapfen sollte. Tatsächlich hätte der berauschte Kafka bloß auf seiner Chaiselongue herumgelümmelt und angelegentlich die Tapete inspiziert, mitnichten aber Lust verspürt, etwas zu notieren, und wenn, dann nichts von Belang, sondern Einkaufszettel, für deren raunende Stilistik er sich anderntags geschämt hätte.

 

Doch Rezensenten besudeln das Feuilleton mit Unmengen von als ob und wie. Wollen Sie es selbst einmal versuchen? Dann stellen sie drei Töpfchen für eine Musikbesprechung bereit: In dem einen befinden sich die Namen von Musikern und Bands, in dem zweiten Trend-Vokabular aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften und im dritten Rauschgift-Bezeichnungen. Nun nehmen Sie bitte aus allen Töpfchen reichlich, verketten das Gerümpel mittels einer beliebigen Syntax, und fertig sind Vergleiche, wie sie Tobse Bongartz gerne spricht und liest. Jedoch: Die neue Platte dieser »extremst relevanten Band« (Tobse Bongartz) klingt keineswegs – ich habe das überprüft! – »als hätten Autechre zusammen mit Slayer auf Muscimol ein elektrifiziertes Gamelan-Orchester in Gebärdensprache dirigiert, das frühe Cat-Stevens-Hits zu einem gendertheoretischen Soundtrack für Foucaults Spätwerk dekonstruiert«.

 

Ein modernes Reden und Sprechen sei frei von Vergleichen! Doch wie ich so darüber nachsinne, zerfallen mir die Worte im Munde wie modrige Pilze. — Hm, oder zerfallen sie nicht eher wie türkischer Honig? Wie türkischer Honig, der allzu lange neben mit Kardamom und Weinbrand gefülltem Konfekt lagerte, das jemand mit einem Seufzen, das nicht zu deuten ist, aus einem schmucklosen, knisternden Zellophantütchen in eine blecherne Dose, auf die Gladiolen-Arabesken geprägt sind, rieseln gelassen und mit dem zugehörigen Deckel, der keine Gladiolen, sondern zwei ­weiße Perserkätzchen zeigt, zu schließen vergessen hatte, und der dadurch jenen fahlen, aus feuchtem Tannengehölz aufsteigenden Geruch erinnernden Geschmack an­genommen hatte, gleichsam so, als ob sich damit eine dunkle Prophezeiung erfüllte, die wir vor langer Zeit im Dämmer einmal ahnten...

 

— Ja, doch! Genau so und keinen Deut anders!