»Neoklassische Playmobil-Welt«
Herr Bank, Sie studieren VWL an der Uni Köln. Wie oft sprechen Sie in Lehrveranstaltungen über die Wirtschaftskrise?
Julian Bank: Es wird immer mal wieder als eine Art Feigenblatt erwähnt, nach dem Motto: Das wären aktuelle Fragen, das wäre interessant. Aber es bleibt im Konjunktiv. Die VWL ist komplex und methodisch anspruchsvoll, aber es gibt einfach eine grundsätzliche Blindheit für die reale Welt. Ausgangspunkt ist stattdessen meist die neoklassische Playmobil-Welt mit ihren vereinfachenden Annahmen. Es gibt in der Realität aber keine perfekten Märkte, es gibt keinen Homo Oeconomicus.
Julian Becker: Die VWL beharrt auf normativen Annahmen, die sie häufig nicht ausreichend offen legt, und entzieht sich so der gesellschaftlichen Debatte. Die spannenden Fragen werden heute eher von Soziologen, Politikwissenschaftlern oder Psychologen gestellt.
Eine zentrale Forderung des Offenen Briefs ist daher auch eine Öffnung der VWL gegenüber anderen Wissenschaften.
Bank: Es fehlt grundsätzlich soziologische Reflexion. Machtverhältnisse und Ungleichheit zum Beispiel sind in der VWL kein Thema. Lieber bewegt man sich in der Gleichgewichtswelt, wo sich Angebot und Nachfrage treffen, wenn jeder sein eigenes Interesse verfolgt. Dass aber die meisten Menschen in ihrem Alltag sehr unfrei sind, zum Beispiel in der Gestaltung ihres Arbeitslebens, wird nicht modelliert. Es gibt Verhaltensökonomen, die spannende Sachen machen, aber das landet nicht in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen. Die basieren auf vereinfachten Annahmen von vor 50 Jahren.
Becker: Es fehlt auch die Reflexion über die eigene Entwicklung. Viele Theorien, die irgendwann in konkreten gesellschaftlichen Situationen mal eine Aussagekraft hatten, haben das heute eben nicht mehr — daher fordert der Offene Brief auch eine Sensibilisierung für historische Rahmenbedingungen.
Wie ist die Lage an der Kölner WiSo-Fakultät?
Bank: In Köln hat der lange vorherrschende Ordoliberalismus an Macht verloren. Er ist einer Modernisierung in Richtung einer philosophisch eher unreflektierten und unpolitischen VWL zum Opfer gefallen. Ich habe mich auf der einen Seite gefreut, dass das ordoliberale Institut für Wirtschaftspolitik mit seinen marktideologischen Positionen an Macht verloren hat. Auf der anderen Seite haben die aber zumindest noch grundsätzliche Debatten geführt.
Klingt nicht so, als könnten wir auf eine neue Generation kritischer Volkswirte hoffen, die neue Ansätze vor dem Hintergrund der Krise einbringen.
Bank: Generell geben die Karrieremuster schnellen Wandel nicht her. Wenn du akademische Karriere machten willst, brauchst du eine Promotionsstelle und viele Veröffentlichungen in den etablierten Journals. Da hast du größere Chancen, wenn du ein Thema wählst, was gesetzt ist und das dann ein bisschen weiterentwickelst, als wenn du Thesen aufstellst, die alles in Frage stellen. Man sollte aber eben diese Promotionen fördern.
Becker: Ein anderes Problem ist die Mathematisierung. Hierin verbirgt sich ein gewisses Disziplinierungsmoment: Wenn ich VWL studieren möchte, weil ich wissen will, wie die Wirtschaft funktioniert, und mich dann erstmal mit sehr komplexer Mathematik beschäftigen muss, ist das sehr viel Aufwand. Und wenn ich den erbracht habe, ist es unwahrscheinlich, dass ich später beginne, an den Grundannahmen zu zweifeln, auf denen die Modelle aufbauen.
Es scheint, als ob die große Neuordnung der VWL extrem schwierig wird, um nicht zu sagen unmöglich?
Bank: Das ist eine Machtfrage. Die, die hier in den Sesseln sitzen, haben keine Bereitschaft, etwas an den Verhältnissen zu ändern. Dass diese Debatte überhaupt geführt und so ein Aufruf wahrgenommen wird, ist ein gutes Zeichen. Die Krise hat gezeigt, dass die VWL nicht viel beizutragen hat. Wenn die Disziplin auf Dauer keine Antworten liefert, wird sich das auch im Renommee niederschlagen. Das ist eine Sprache, die man an der Kölner Wiso-Fakultät vielleicht eher versteht.
Julian Bank ist 26 Jahre alt und macht seinen Master in VWL. Julian Becker ist 27 Jahre alt und Mitarbeiter am Seminar für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte.
In einem Offenen Brief fordert das Netzwerk »Plurale Ökonomik« vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise eine Neuordnung der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland. Ziele sind u.a. größere Theorien- und Methodenvielfalt und die Öffnung gegenüber anderen Fächern. Auch das Studierendenparlament der Uni Köln hat den Offenen Brief unterzeichnet.
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