Die Rutsche führt nach unten: Spielplatz in Chorweiler; Foto: Manfred Wegener

Angriff der Heuschrecken

In Chorweiler werden 1200 Wohnungen zwangs­versteigert. Die Stadt will verhindern, dass Finanzinvestoren das Rennen machen

»Die Zukunft von Chorweiler steht auf dem Spiel. Wenn die Wohnverhältnisse noch schlechter werden, kippt das Viertel«, sagt Sozialarbeiterin Sigrid Heidt. Am 18. Januar werden 1200 Wohnungen zwangsversteigert. Jetzt geht im Stadtteil die Angst um, dass international agierende Immobilienkonzerne mit überzogenen Renditeerwartungen den Zuschlag bekommen. Die rund 3000 Bewohner blicken ins Ungewisse. »Das wäre sozialer Sprengstoff für ganz Köln«, sagt Sigrid Heidt. Seit 30 Jahren ist sie in Problemvierteln tätig. Derzeit arbeitet sie in der 2009 eröffneten Mieterkontaktstelle und setzt sich für ein besseres Wohnumfeld ein. Die Beratungsstelle hat ihren Sitz in einem der Hochhäuser an der Osloer Straße. Blickt man nach draußen, erhebt sich das stufenförmige Betongebirge in Beige, Braun und dreckigem Gelb. Es ist zum Sinnbild für Chorweiler geworden.

 

Hier, im äußersten Kölner Norden, wohnen 13.000 Menschen auf zwei Quadratkilometern. Chorweiler-City, das Quartier zwischen Merianstraße, Willi-Sürth-Allee und Mercatorstraße, das nun ins Blickfeld der Immobilienspekulanten geraten ist, hat 6000 Einwohner. Wohin man schaut, die Trabanten der »Neuen Stadt«, wie die Stadtplaner diese Utopie eines technokratischen Staates nannten. Die Straßen warten mit klangvollen Namen auf: Athener Ring, Mailänder Passage, Stockholmer Allee. Heute gilt das einstige sozialdemokratische Vorzeigeprojekt  des sozialen Wohnungsbaus als grandioser Flop — ebenso wie die Hochhaussiedlungen in Porz-Finkenberg oder Bonn-Tannenbusch. » Menschenverachtende Architektur«, nennt das Jochen Ott, Chef der Kölner SPD und wohnungspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Landtag.

 

Chorweiler-City verfügt insgesamt über rund 2400 Wohnungen. Die 1200 heruntergekommen Einheiten an der Osloer, Kopenhagener, Göteborger und Florenzer Straße stehen seit 2005 unter Zwangsverwaltung. Vermieter der größten Plattenbausiedlung in NRW war bis in die 80er Jahre hinein die »Neue Heimat« des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nachdem die Hochhäuser kurz der Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) gehörten, gingen sie in Privatbesitz über, die Verwahrlosung begann. Auch die Sozialstruktur der Bewohner wurde immer homogener — heute lebt fast die Hälfte der Einwohner von Transferleistungen, drei von vier Bewohnern haben einen Migrationshintergrund.

 

Mitte Januar läuft die Zwangsversteigerung. 560 Wohnungen rund um den Liverpooler Platz gehören der »BGP Norddeutschland S.à r.l. & Co. KG«. Mieterverein und Bewohner zählen die Firma mit Sitz im Münchner Nobel-VorortGrünwald zu den Heuschrecken der Immobilienbranche. Sie klagen immer wieder, dass notwendige Reparaturen nicht vorgenommen und Mängel nicht beseitigt würden. »Wir haben die Sorge, dass bald 75 Prozent des Viertels in Heuschreckenhand sind, das wäre ein Genickbruch für das Viertel«, sagt  Klaus-Martin Ellerbrock, Sozialraumkoordinator für den Stadtbezirk Chorweiler. Einer der Interessenten scheint der umstrittene Investor Erez Adani zu sein. Adani hat vor drei Jahren knapp 550 Wohnungen in Porz-Finkenberg, dem sogenannten Demo-Gebiet, gekauft. Seitdem habe sich die Wohnsituation »dramatisch verschlechtert«, sagt Monika Möller, die für die SPD im Rat der Stadt sitzt. Adani hatte zwar Mitte Dezember verkündet, die Talos-Gruppe sei an dem Investment in Chorweiler aufgrund öffentlicher Diffamierungen nicht mehr interessiert. Jochen Ott zeigt sich jedoch skeptisch: »Ich glaube da nicht dran. Dann bietet Adani eben nicht mit der Talos-Gruppe, sondern mit einem anderen Subunternehmen aus seinem Firmengeflecht mit.« Besonders stößt Ott auf, dass »solche Finanzhaie« an den Sozialmieten, die regelmäßig von der Stadt überwiesen werden, gut verdienen. »Die lassen die Immobilie ausbluten und holen eine Rendite von zehn Prozent im Jahr«, sagt Ott. »Die Substanz wird aber jedes Jahr schlechter. Ich könnte durchdrehen bei dieser Schweinerei.«

 

Laut einem Gutachten wird der Verkehrswert der Wohnblocks auf 23 Millionen Euro geschätzt, der Sanierungsstau steht bei mindestens 40 Millionen Euro. Die Liste der Mängel ist endlos: undichte Decken und Fenster, verschlammte Rohrleitungen, kaputte Heizungen, feuchte Wände, Schimmelpilzkolonien auch in Kinderzimmern.  

 

Die Stadt arbeitet derweil hinter den Kulissen mit Hochdruck an einem Konstrukt, »um das Geschäft mit Hartz IV kaputtzumachen«, wie Ott sagt. Es gibt eine »Task Force«, die von OB Jürgen Roters (SPD) mit dem ehemaligen Leiter des Kölner Wohnungsamtes Michael Schleicher koordiniert wird. Roters bemüht sich um die Bildung eines Konsortiums unter der Regie der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GAG, um die Immobilie zu erwerben. Ott sagt aber auch, dass »ein großer Finanzhai mit ganz anderen Summen jonglieren kann«.

 

Zeitgleich arbeiten Stadt und Land an mehreren Modellen, um sowohl kommunalpolitische Spielräume zu erweitern als auch Instrumente zu entwickeln, um Investoren zur nachhaltigen Wohnungsbewirtschaftung zu verpflichten: »Die Kommunen sollen in die Lage versetzt werden, mit scharfem Schwert menschenwürdiges Wohnen durchzusetzen«, so Ott. Er ist im Landtag auch Mitglied der Enquête-Kommission »Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzinvestoren«. Zudem soll ein ähnlicher Mieterprotest wie derzeit in Porz-Finkenberg organisiert werden. Dort vertritt eine Anwaltskanzlei mehr als 200 Menschen, die in den Adani-Immobilien wohnen, und hat für sie Mietminderungen bis zu 80 Prozent geltend gemacht. Auch einer Mieterhöhung um 20 Prozent, die Adani für Januar angekündigt hat, hat die Kanzlei widersprochen. »Das tut dem finanziell richtig weh«, sagt Monika ­Möller. Eine noch bessere Strategie sei, Leerstände zu produzieren, aber das sei auf dem übersättigten Kölner Wohnungsmarkt nicht möglich.

 

Die Probleme sind jedoch auch hausgemacht: In den vergangenen 15 Jahren ist der Bestand an Sozialwohnungen stark geschrumpft, weil Mietpreis- und Belegungsbindungen ausliefen. Und die Stadt hat bei Neubauten zu wenig Anreize für sozial geförderten Wohnungsbau geschaffen. Noch vor 20 Jahren lag dessen Anteil in Köln bei 22 Prozent, heute sind es nur noch 7,85 Prozent. Dabei hätten fast die Hälfte aller Kölner Anspruch auf eine geförderte Wohnung. Zudem sieht man in Chorweiler mit einer Quote von achtzig Prozent geförderten Wohnungsbau Ergebnisse der Fehlbelegungspolitik.

 

Immerhin scheint die rot-grüne Ratsmehrheit erkannt zu haben, wie dringend bezahlbare Wohnungen benötigt werden. Gegen die Stimmen von CDU und FDP  beschloss sie Mitte des Jahres ein kommunales Wohnungsbauförderprogramm. Jährlich will man insgesamt 1000 neue preisgünstige Wohnungen mit Hilfe eines städtischen Darlehens von 35 Mio. Euro errichten. Aufgrund des Spar-Haushalts 2013/2014 ist aber unklar, ob dies so umgesetzt wird. Schließlich steht auch das hochgelobte Baulückenprogramm, mit dem in den vergangenen drei Jahren jährlich 500 Wohnungen zusätzlich errichtet wurden, auf der Streichliste.