Wo sind sie?

Ein talentierter Jungregisseur räumt mit dem nö-Theater zweimal ab. Gleichzeitig zeigt die Vergabe der Kölner Theaterpreise 2012, der Stadt geht der Nachwuchs aus

Der Theatermacher Janosch Roloff gehört zu einer raren Spezies. Und das, obwohl die Weidegründe in Köln zahlreich sind. Diese Art nennt sich Nachwuchs. Aufgrund ihrer Seltenheit hat sich die Szene hungrig auf das Regietalent gestürzt: Der 29-jährige erhielt den Kölner Theaterpreis 2012 sowie den Kurt Hackenberg-Preis (Anm. d. Red.: der Autor ist Jurymitglied), für sein Doku-Stück »V wie Verfassungsschutz«.

 

Köln leidet an Nachwuchsmangel. Es gibt zu wenig junge RegisseurInnen und DramaturgInnen in der freien Szene. Ausnahmen wie Tim Mrosek oder Janosch Roloff bestätigen die Regel. Die Avantgarde wie Philine Velhagen (Drama Köln), Jörg Fürst (A.Tonal.Theater) oder Daniel Schüßler (Analogtheater) ist um die vierzig. Wo sind die Twentysomethings? Anders als Berlin, Hamburg, Hildesheim oder Essen kommt Köln ohne staatliche Theaterhochschule aus. Der 2009 erstellte Kulturentwicklungsplan fordert zwar die Gründung einer Theaterakademie, doch daraus ist bis heute nichts geworden. Obwohl die vorhandenen Institute »den aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht« würden, wie es heißt:  Praxisbezug, Performancekunst und kulturelles Management fehlen. Diese Lerninhalte werden auf der Theaterakademie Köln, in der Schule des Theater der Keller und der Arturo Schauspielschule nicht angeboten. Der Fokus liegt auf der Schauspielausbildung. Als Absolvent der Theaterakademie ist Regisseur Roloff insofern eher ein »Versehen«. Dort hat man das Manko erkannt. Robert Christott, der neue Leiter ab März, plant die Studierenden stärker als Produzenten zu schulen und, um Regiekurse anbieten zu können, eine Kooperation mit dem Studiengang »Szenische Forschung« an der Uni Bochum. Die Grundausrichtung wird sich allerdings nicht ändern. »Wir bleiben eine Schauspielschule«, so Christott. Die Uni Köln dagegen bietet im »Institut für Medienkultur und Theater« eine »klassische universitäre Ausbildung ohne Praxisanteile« an, erklärt Professor Peter Marx, für die Berufsfelder Lektorat und Kulturmanagement, aber auch Dramaturgie, allerdings nicht als künstlerische Betätigung.

 

Deshalb holen sich die Kölner Theatermacher verstärkt Blutzufuhr von außen. Kerstin Ortmeier, Dramaturgin am Theater im Bauturm besucht mit dessen Leiter Gerhart Haag regelmäßig die Festivals »Radikal Jung!« in München und das Hamburger »Körber Studio für junge Regie«. Anregungen kommen außerdem durch Koproduktionen mit dem Theaterdiscounter Berlin, etwa das Stück »Von einem der auszog die Revolution zu lernen« von Jungregisseur Luzius Heydrich. Eher strategisch geht die Studiobühne das Nachwuchsproblem an: Der dreitägige Wettbewerb »Fünfzehnminuten« bietet jungen Bewerbern aus ganz NRW die Möglichkeit, eine Viertelstunde Programm zu machen: Konzert, Performance oder Street Art, alles ist möglich. Drei Gewinner erhalten dann Mittel, aus ihren Shortcuts einen Abend zu gestalten. Aber sind solche Strategien nachhaltig? Das Grundproblem der Kölner freien Szene liegt in der Struktur. Sie erschwert Kooperationen, Netzwerkbildung, moderne Arbeitsweisen und auskömmliche Produktionsbudgets.

 

 

Gut geschlafen
Christoph Rech, Dramaturg am Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf und Mitglied des Kölner Theaterbeirats, nennt strukturelle Gründe für den Nachwuchsmangel in Köln

 

Herr Rech, warum hat Köln ein Nachwuchsproblem? Der Nachwuchsmangel spiegelt die grundsätzliche Problematik der freien Szene wider. Die Stadt verfügt über eine große Vielfalt an Einrichtungen und Gruppen, aber diese haben die ästhetischen und inhaltlichen Entwicklungen der letzten 20 Jahre nicht mitgemacht: postdramatisches Theater, Performing Arts oder Live Art. Wir reden über Strukturen von kollektiven und schöpferischen Prozessen, die sich wegbewegen von dem, was man als literarisches Theater oder Regietheater versteht.



Auch Düsseldorf hat keine Ausbildungsstätten. Trotzdem hat das FFT kein Nachwuchsproblem. Es gibt junge Theatermacher, die nach ihrer Ausbildung in Gießen nicht nach Berlin gehen, sondern nach Düsseldorf, weil es mit dem FFT eine Produktionsstätte gibt, an der sie sich weiterentwickeln können. Das liegt weniger an den Förderinstrumenten, als an der Form der Zusammenarbeit.

 

Was machen Sie anders? Wir entwickeln mit den jeweiligen Gruppen eine Förder- und Netzwerkstrategie. Nicht jeder Partner passt. Außerdem sind wir Mitglied im Netzwerk »Freischwimmer«, einem produzierenden Festival für den Nachwuchs, und versuchen da unsere Künstler einzuspeisen. Das hängt natürlich auch vom Geld ab. In überregionale Koproduktionsstrukturen muss man auch etwas einbringen.



Muss Köln also seine Förderstruktur ändern? Die Förderstruktur würde auch anderes zulassen. Man sollte sich aber bei der Diskussion um ein Koproduktionshaus auf ein Zentrum für den Nachwuchs konzentrieren. Dazu bedarf es allerdings eines starken politischen Willens.