Schweigen in Erinnerung
Herr Akhanl?, wie ging es Ihnen damit, ein Theaterstück über den Völkermord an den Armeniern zu schreiben? Es war sehr schwierig. Ich habe schon einmal versucht, darüber einen Roman zu schreiben, aber es ist eine Zumutung, solch eine überdimensionale Gewalt, die man nicht verstehen kann, auszudrücken. Die Zeugenberichte haben mich fast traumatisiert. Unsere Vorstellungskraft reicht nicht aus, um diese Gewalttaten wirklich zu begreifen. »Annes Schweigen« ist mehr der Versuch, sich die Vergangenheit nur vorzustellen.
Ihre Protagonistin Sabhia ist zu Beginn eine Deutsche mit türkischen Wurzeln. Später wird sie eine türkische Nationalistin. Ist das eine normale, türkische Identität? Jeder kann gleichzeitig mehrere Identitäten haben. Im Stück erzähle ich von einer Demo, die es 2006 in Berlin tatsächlich gab. Nationalisten aus der Türkei kamen mit Deutschen zusammen, die einen türkischen Hintergrund haben. Die Identität, die Sabhia dort findet, ist eigentlich schön. Sie erfährt Wertschätzung dafür, Türkin zu sein. Aber plötzlich gibt es den Bruch. Sie übertreibt diese Identität und entwickelt feindliche Gefühle für andere Gruppen.
Ist das der Grund, warum die Mutter verschweigt, dass sie Armenierin ist? Ich glaube, dahinter steckt keine konkrete Bedrohung oder Angst, sondern ihre eigene Erfahrung mit Gewalt. Manchmal ist Angst irreal, aber immer hat sie einen Grund.
Sabhia findet emotionale Ruhe, als sie ihrer armenische Identität annimmt. Doch zunächst ist sie paralysiert. Es hat mich stark interessiert, ob es möglich ist, sich zu ändern. Und Sabhia ist eine mutige Figur. Sie weiß, dass sie Täterin wurde, weil sie die Warnungen ihrer Mutter ignoriert hat und stellt sich ihrer Geschichte.
»Annes Schweigen« ist ein Gemeinschafts-Projekt. Sie haben mit der deutsch-armenischen Schauspielerin Bea Ehlers-Kerbekian und dem jüdischen Regisseur Ron Rosenberg zusammengearbeitet. Gab es von Förderern eine Einflussnahme? Nein. Obwohl das Thema politisiert ist, war es von Anfang an ein Kunstprojekt. Die Vereine, die uns unterstützen, haben nur signalisiert, dass sie eine gemeinsame Sicht gut finden, auch politisch.
Haben Sie die gefunden? Ja. Wir haben sehr viel darüber kommuniziert, was wir erzählen wollen, bevor ich mit dem Schreiben angefangen habe. Dieser Prozess hat fast sechs Monate gedauert. Auch danach haben wir Satz für Satz, Wort für Wort diskutiert.
Und die Quintessenz? Man kann sich ändern.